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Unter einem schwarzen Himmel- Heimkehrerdrama um den Velothon 2010

Nachdem ich kürzlich ein bisschen was zur Göttinger Tour d´Energie geschrieben hatte, will ich auch zum Velothon in die Tasten hauen. Allerdings verzichte ich dieses mal gänzlich darauf, den werten Leser mit meinen Heldentaten zu langweilen. Nur so viel: Es war beschissenes Wetter, ich war nass wie ein ersoffener Puma, habe natürlich diverse Lücken höchstselbst zugefahren, mich tief über den Lenker gebeugt, war fast in einen Massensturz verwickelt, habe die Windkante auf dem Tempelhofer Rollfeld erlitten und war am Ende so richtig kaputt. Wenn ich das schreibe, dann nur, um auch dem weniger erfahrenen Leser – er wird auf dieser Seite ein Exot bleiben, soll aber nicht ausgeschlossen werden – einen Einblick in die Leiden bei so einem Spaßevent zu geben.

Mit dem vorausgesetzten Einverständnis des Lesers beginne ich meine Schilderung auf der Zielgeraden. Auch dies noch, um ein wenig Atmosphäre aufzunehmen: mit brennenden Oberschenkeln versuche ich, den Kontakt zu meinem Vordermann nicht abreißen zu lassen, es wird nochmal richtig schnell. Das Sehfeld hat sich ziemlich verengt, aber das ist seit dem Flughafen Tempelhof so und ich habe beschlossen, dass es sich bei diesem Phänomen um kein Alarmsignal meines Körpers handelt, sondern um einen Nachweis absoluter Konzentration auf das Wesentliche. Ein Ritter hatte schließlich auch nur einen Sehschlitz im Helm und war trotzdem bei Freund und Feind gefürchtet! Der letzte Kilometer ist eigentlich halb so schlimm, ich hätte sogar noch einen Sprint um die Ehre eingelegt, aber die zwei Jungs unmittelbar vor mir wollen sich lieber ausrollen lassen und zwingen mich damit, es ihnen gleich zu tun. Auch gut, also juckel ich unter der großen Uhr durch und folge dem Rest um ein paar Ecken zu Transponderrückgabe.

Und prompt fängt es wieder an zu regnen. Der Himmel ist schwarz. Klar, wir waren alle schon unterwegs tüchtig nass geworden, aber jetzt, nachdem die Muskelbeanspruchung weggefallen ist, wird es richtig kalt. Wenigstens habe ich nicht wieder diesen Ziegenkäsegeschmack im Mund, der hervorgerufen wird, wenn sich alter Schweiß und Regenwasser im Helmpolster zusammenfinden und beschließen, mal zu gucken, ob die Welt unterhalb meiner Nase noch weitergeht. Mit meinem Kumpel stelle ich mich unter einen Baum und will das Gröbste abwarten. Nochmal entspannt all die Eindrücke sacken lassen, sich gegenseitig über das eigene Befinden auf der Strecke berichten, über Momente der Erschöpfung, über die Strecken, wo es gut lief. Wie nötig die Pinkelpause war und wie schade es ist, deswegen aus einer einer guten Gruppe ausgescheert zu sein.

Mitteinhinein nervt ein „Mitbewohner“ unter dem Baum mit seinem telefonischen Rapport nachhause: “ Drei Stunden fünf und fett gestürzt. Ja, mein Schaltwerk ist voll kaputt, echt voll kaputt, ja, muss ich dir mal zeigen. Krasses Rennen, habe mich voll abgeledert, echt, mein Schaltwerk…“ Ich könnte ihm gleich eine klatschen, weil er uns mit dem Zeugnis seiner schlechten Fahrtechnik auf den Geist geht.

Beim Lesen meiner Zeilen fällt mir auf, dass man meistens nach solchen Events den unsagbaren Drang hat, seine Umwelt mit Details der eigenen Erlebnisse zu beglücken. Ob ich für die anderen genauso nervis bin, wie der Mitbewohner mit dem Handy für mich? Die ganz Kranken beschäftigen sich so sehr damit, dass sie Tage später noch darüber schreiben müssen. Die haben wahrscheinlich nix zu tun und keine Freunde!

Wir beschließen, nachhause zu gehen. Zu gehen, wohlgemerkt, denn Radfahren ist im Moment eine ziemlich unattraktive Form der Fortbewegung. Denn jetzt nicht nur ist es kalt und die Muskeln schreien nach Ruhe, auch macht sich bemerkbar, dass ich mir in der durchnässte Radhose wohl einen Wolf gefahren habe. Außerdem zwicken Abschürfungen, die die Reißverschlüsse der Überschuhe an meinen Achillesversen verursacht haben. Insbesondere letzteres hatte ich schon beim Kauf am Vorabend für 3 € vermutet, aber während der Fahrerei nicht bemerkt. War ja klar, dass die Teile nicht so günstig waren, weil die so heiß begehrt worden waren.

Ein paar Schritte später quäle ich mich doch auf den Hobel, ich habe Hunger, ich friere, sind wir bald da-a, und rolle heimwärts. Dort angekommen baue ich erstmal einen Klumpen dreckiger Wäsche und lasse mir eine Wanne mit heißem Wasser volllaufen. Währenddessen lasse ich lustlos ein wenig Öl auf die Kette laufen und stelle das Rad dann in die Ecke. Zur richtigen Pflege habe ich heute keinen Bock mehr. Das gilt nicht für meinen Körper. Als ich den in der Wanne versenke, brennen die abgeschürften Stellen ganz herrlich. Vor allem Herr Wolf lässt grüßen! Als ich aufheule, weiß ich, warum man das Wolf nennt. Um mich herum schwimmen sofort allerlei Erdklumpen, Pflanzenreste und tote Tiere, die von ungeschützten Rennreifen auf mich abgefeuert worden waren. Egal. Ich schnappe mir eine Fahrradzeitschrift und träume von Materialverbesserungen für kommende Jahre.

Fast wäre ich eingeschlafen, aber mein Magen knurrt mich an, als wollte er sich gleich selbst verdauen. Also beende ich meinen Tauchgang mit einer kalten Dusche und gehe in die Küche, wo ich aus 300 g Nudeln, 2 Wiener Würstchen, 2 Scheiben Gouda und einem Rest Pesto das leckerste Essen aller Zeiten mache. Immerhin war meine letzte Nahrung ein widerwärtiges Gel gewesen. Diese Dinger sind sowieso der Knaller und üben auf mich eine morbide Faszination aus. Die sind eklig!!! Alle!!! Die Konsistenz schwankt nach Hersteller zwischen Käsefondue und Pornofilmfinale und der Geschmack hat meistens was von Tofu mit Zitronensoße – das passt auch nicht, aber wer schon einmal einen probiert hat, weiß was ich meine. Trotzdem glaube ich daran, dass die gut für mich sind. Zurück zum Thema, ich esse, bis nichts mehr reingeht und wäre jetzt eigentlich reif für ein Schläfchen. Aber es ist Sonntag und da sollte man doch mal einen Spaziergang mit seiner Liebsten machen. Ich bin froh, als ich Treppen nach unten geschafft habe (Aua!), von jetzt an muss ich nur noch aufpassen, dass ich die Füße richtig setze. Rechter Fuß, linker Fuß… Wie ein Zombie trotte ich neben ihr her und werde nur wach, als wir die Eisdiele ansteuern. Für drei Kugeln ist noch Platz.

Wieder zuhause angekommen (Treppe hoch, nochmal Aua!) döse ich auf dem Sofa, als sich alle möglichen Muskelschmerzen melden. Nicht sehr unangenehm, aber alle teilen sie mir mit, dass sie einen harten Tag hatten. Immerhin halte ich mich noch über den Tatort wach, lange genug, um noch eine weitere Mahlzeit zu rechtfertigen. Dann schlurfe ich ins Bett und bevor ich in Morpheus Arme sinke, plane ich noch den nächsten Start.

17 Kommentare

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  • Warum wünscht du mir gute Besserung? Schon am nächsten Tag bin ich wieder herumgesprungen wie ein junges Fohlen! Das andere war ein Schreibfehler, ich meinte Promofilm, also Promotion, das ist ja immer so eine klebrige Sache. Hust!

  • Herrrrrlich, Onkel! Gröle hier gerade im Büro rum und ernte fragende Blicke… .

    „Um mich herum schwimmen sofort allerlei Erdklumpen, Pflanzenreste und tote Tiere, die von ungeschützten Rennreifen auf mich abgefeuert worden waren. Egal. Ich schnappe mir eine Fahrradzeitschrift und träume von Materialverbesserungen für kommende Jahre.

    DAS ist Literatur! Mann – auch der Absatz über Fahrradpflege hat es mir angetan. Gerade weil deine Bikes immer diesen Top-1a-primabestens-Zustand haben. Kann man nur hoffen, dass zwischen den Zustand deiner Räder und den deines Körpers noch ein, zwei Universen Platz finden. Ansonsten steht dir wohl bald Rente ins Haus. Nochmals – Danke… v.d.m.

  • Dein Geschichte ist doch erstunken und erlogen, Wer ölt, bevor er den eigenen Körper nach dieser Kältefolter unter heißem Wasser wieder auf Normaltemperatur gebracht, die völlig versiffte Kette?!?!? Wenn ich dies tun würde, wäre das noch nachvollziehbar, abr DU? Niemals! Und mir fehlt das Gezetere mit der Freundin über die Sinnhaftigkeit eines Spazierganges nach dieser Tour aber du bist ja mit Eis bestochen worden. Ich hoffe sie hat bezahlt.

  • Lieber Sebastian, erstens solltest du Achtung vor den Opis haben, die sich so etwas (noch) antun und Ihnen gönnen, dass sie sich von ihrem Geld tolle Räder kaufen,

    zweitens wäre ich ohne diese Opis Letzter geworden!

  • Opis, die nicht mitgefahren sind, sind hiervon ausdrücklich ausgenommen. Und von Titanopis war gar nicht die Rede!

  • Ach ja man kann ja hier nicht editieren als Gast.
    Also, das war jedenfalls ernst gemeint und nicht ironisch.
    Bin nur gerade zu faul für detaillierte Lobpreisungen.

  • ja, titanopi´s wollte ich auch ausschließen…

    ich hab bei den opis ja auch jelutscht!

    aber einige sehr schöne und bestimmt auch teure fahrrader aus alt-kohlenstoff
    haben einen mächtigen lärm gemacht…

    bin übrigenz stahl-jung-senior!

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