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La Classica delle Foglie Morte – Das Rennen der fallenden Blätter

Wenn im Herbst eines jeden Jahres der Ruf aus dem Norden Italiens zum Rennen der fallenden Blätter kommt, ist das ein untrügliches Zeichen für das Ende der Straßensaison. Nach der Weltmeisterschaft ist die Lombardei-Rundfahrt das letzte, große Highlight des Jahres. Ausgetragen wird der traditionsreiche Giro di Lombardia seit 1905, unterbrochen lediglich weltkriegs-bedingt 1943 und 1944. Er gilt neben den vier Frühjahrsklassikern als das 5. Monument der Profiradsports.
Lago di Como

In der langen Liste der Sieger der vergangenen Jahre sind viele bekannte Namen zu lesen, um mit Fausto Coppi, Gino Bartali, Franceso Moser, Bernard Hinault und Eddy Merckx nur ein paar Namen zu nennen. Einen klassischen Streckenverlauf gab es in den vergangenen 113 Jahren dagegen nicht. Immer wieder änderte sich der Kurs, ebenso Start- und Zielort. Mal ging das Rennen von Mailand nach Como, mal vom Mailand nach Mailand, nach Bergamo, nach Lecco oder umgekehrt. Die längste und damit „klassischste Zeit“ war wohl die Streckenführung von Mailand nach Como, jedoch liegt das auch schon einige Zeit zurück und in den letzten Jahren hat sich die Route zwischen Bergamo und Como (bzw. umgekehrt) etabliert.

Wenn es ein klassisches Merkmal für die Lombardei-Rundfahrt gibt, dann ist es wohl der Anstieg von Bellagio zur Madonna del Ghisallo. Auf dem Pass steht die kleine Kirche vollgestopft mit historischen Devotionalien aus der älteren und jüngeren Radsportgeschichte. Hinzu kommt ein kleines Museum mit vielen Rädern und Trikots aktueller und vergangener Sieger.
Madonna del Ghisallo
Ausgetragen wird das Rennen Anfang Oktober, in diesem Jahr am Samstag den 13. Oktober 2018. Im Gegensatz zu den anderen vier Monumenten des Radsports gibt es leider nur eine abgespeckte Jedermann-Variante mit 115 Kilometern. Aus diesem Grund entschieden wir uns, den Streckenverlauf auf eigene Faust in Angriff zu nehmen. Gleichbedeutend war dies mit der Bewältigung logistischer Herausforderungen (Transport zum Start, Verpflegung, etc.) sowie einer komplett ungesperrten und unausgeschilderten Streckenführung. Insgesamt warten ca. 240 km mit (angeblich) über 5000 Höhenmetern zum goldenen Abschluss der Saison.

Ichnusa - Carbo-loading
Nach einer feucht-fröhlichen Nervositätsbekämpfung am Vorabend klingelte der Wecker unbarmherzig und gnadenlos um 4:00 Uhr morgens. Wie ferngesteuert laufen die Automatismen ab, Klamotten an, Verpflegung packen, Rad klar machen. An diesem Morgen warten aber noch einige Kilometer Anfahrt auf uns. Zum Glück nehmen wir das Auto und finden nach einer guten Stunde Fahrt direkt am Bahnhof von Bergamo einen Parkplatz.

Start in Bergamo

Ein letzter Toilettengang in einer Bar und kurz nach 7:00 Uhr starten wir auf die letzte Reise der fünf Monumente. Bergamo lassen wir relativ schnell hinter uns, es folgen in den ersten vier Stunden die ersten 100 Kilometer und der relativ lockere Anstieg zum Colle del Gallo. Der Hühnerberg ist wirklich schön zu fahren, endlich keine LKW’s und nahezu leere Straßen an diesem sonnigen Spätsommer/Frühherbst-Samstag.

Colle Gallo
Madonna dei Ciclisti

Als wir bei KM 105 in Brivio den Fluss Adda überqueren, geht das „Rennen“ endlich los. Ab jetzt sind es noch ca. 135km bis ins Ziel, jetzt warten aber endlich die Berge auf uns.

Gude Laune
Colle Brianza

Nach dem Colle de Brianza rollen wir gen Lecco und zum ersten Mal auf der Tour sehen wir den Lago di Como. Allerdings biegen wir gleich wieder ab. Es geht vorbei an den Schmelzseen der letzten Eiszeiten, Lago di Garlate, Lago di Annone, Lago di Pusiano und Lago di Segrino bevor wir wieder in Richtung des Lago di Como fahren.

Seenpanorama

In Bellagio gehts ans Eingemachte, es warten die Anstiege nach Madonna del Ghisallo, eine kurze, aber schnelle Zwischenabfahrt und dann der Hammeranstieg über die Muro de Surmano.

Ghisallo
Pause am Ghisallo

Nic hatte bislang einen rabenschwarzen Tag, die ersten 7 Stunden hielt er sich aus gesundheitlichen Gründen zurück. Doch jetzt schlägt er zurück und lässt Lorenzo und mich im Anstieg förmlich stehen. Ausgerechnet am Fuße der Madonna habe ich meinen dunklen Moment des Tages. Magenprobleme machen mir zu schaffen und ich versuche irgendwie normal die Pedalen zu treten. Vom Gedanken ihm zu folgen nehme ich schnell Abstand, ich halte einfach nur meinen Rhythmus. Das kurze Flachstück nutze ich zur Regeneration und kann den Abstand zu Nic merklich verkürzen. Im zweiten Teil des Anstiegs kann ich dann zu Nic wieder aufschließen und gemeinsam erreichen wir die Kapelle auf der Passhöhe. Es werden am Brunnen die Flaschen aufgefüllt und sich ordentlich verpflegt. Es wartet eine schnelle Abfahrt nach Asso, dann geht es in den Anstieg zur Surmano. Der erste Abschnitt ist noch einigermaßen erträglich, hier und da steil, aber alles im Bereich des Möglichen. Doch dann kommt der Abzweig auf die Muro.

Einstieg Muro

Etwas härteres habe ich bislang noch nicht gesehen, die Steigung hat immer zweistellige Prozente. Meistens sind es mehr als 15%, im Maximum irgendwas um 25%. Da es keine Erholungsphasen gibt, beschließe ich nach 80hm und ersten Krämpfen in den Oberschenkeln zu laufen. Schneller wäre ich auf dem Rad auch nicht. Als einziger bewältigt Lorenzo die Muro auf dem Rad, als einziger fährt er aber auch Kompakt mit einem 34er Blatt vorne. Trotzdem absoluten und höchsten Respekt für die Leistung, auch mit einem 34er Blatt wäre ich wahrscheinlich nicht komplett gefahren.

Muro-Bezwinger

Oben erholen wir uns erstmal von den Strapazen und füllen die Speicher wieder auf. Es folgt eine geniale Abfahrt nach Borgo, dann rollen wir am See entlang nach Como. Mittlerweile sind über 10 Stunden vergangen und das Tageslicht neigt sich langsam dem Ende entgegen, wir sind noch nicht am Ende.

Straße Muro-Como

Gegen 18 Uhr erreichen wir den Ortseingang von Como, es fehlen knapp 20km. Der Schafrichter des Tages liegt vor uns, der Anstieg von Como über Brunate nach Civiglio. Dabei sind über 400 Höhenmeter zu bewältigen und die Steigungsprozente betragen im Schnitt 10%. Zum Glück haben wir am Vortag keine Besichtigung des letzten Anstiegs unternommen. Mit Sicherheit hätten wir gekniffen und wären direkt in Como an den See gefahren. Welch eine Hammerrampe hoch nach Civiglio, wir haben den Anstieg definitiv völlig unterschätzt. Im unteren Abschnitt denkt man, dass steile Stück gleich bewältigt zu haben. In der Mitte hofft man, dass es gleich flacher wird. Und oben, da flucht und betet man nur noch, dass es hoffentlich gleich zu Ende ist. Mit der Steigung oder einem selbst, egal – Hauptsache vorbei.

Blick von Civiglio nach Como

Wenn man schon nicht mehr daran glaubt, ist man endlich oben. Ein kleiner Kirchplatz, super-enge Gassen, schön hier oben im Sonnenuntergang. Kurz sammeln, ab in die letzte Abfahrt runter an den See und Feierabend!

Finisher am See

Hier eine Übersicht über Strecke, Höhenmeter, etc. und noch einige Bilder.

Finale am Lago di Como im Herbst 2018, mit einem kühlen Erfrischungsgetränk in der Hand blicken wir erschöpft und glücklich zurück. Am 2. April 2011 begann unsere Reise in Flandern im wunderschönen Brügge. Im Juni 2012 folgte die Schlacht von Roubaix durch die Hölle des Nordens. Ein Jahr später dann die endlose „Primavera“ von Mailand nach San Remo und 2014 „La Doyenne“ in Lüttich. Es folgten drei Jahre Babypause bevor wir nun endlich den Sack zumachen. Viele haben mich gefragt, was war das Highlight oder was war am schwersten. So genau kann man das nicht sagen, jede Veranstaltung hat ihre Tücken, nicht umsonst sind alle fünf Rennen ein Monument des Radsports. Landschaftlich am interessantesten war aus meiner Sicht Lüttich-Bastogne-Lüttich. Die beste Stimmung sicher in Flandern an den Hellingen. Auch die beiden italienischen Rennen hatten ihren Reiz, Mailand-San Remo aufgrund der Länge und des schönen Ziels am Meer, die Lombardei mit ihrem nicht minder schönen Alpenpanorama. Das härteste Rennen war aber ohne Zweifel Paris-Roubaix, nie werde ich diese Schmerzen vergessen.

Am nächsten Morgen

Nun sind neue Ziele gesucht, zwei der nachrangigen „Halbklassiker“ haben wir schon ins Auge gefasst. Lasst euch überraschen, da kommt noch was…

Monumente-Trophäen

darkdesigner

4 Kommentare

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  • Wieder mal Monumental! Sowohl die Fahrt als das Rahmenprogramm. Und Darkdesigners Bericht! An dieser Stelle mille grazie an Darkdesigner fuer die Lokomotivearbeit in der ersten ueberwiegend flache Streckenhaelfte. Das hat die noetige Koerner fuer den Muro gespart……he,he,he! Und zum Muro, ja, es stimmt was Tobias sagt. Sowas hatte ich auch noch nie gesehen. Porca miseria!

  • Endlich die Lombardei-Rundfahrt – ich habe ja schon fast nicht mehr daran geglaubt. Sehr schön, Tobias, dass Du uns auch am fünften Monument mit Deinem Bericht hast teilhaben lassen. Meinen größten Respekt für diese und auch die anderen vier Radsporterlebnisse. Den Muro muss ich mir auch mal geben, wenn ich mal wieder in dieser wunderschönen Gegend bin.

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