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Nordrunde mit Startschwierigkeiten III

Den nächsten Morgen werde ich mit einem sehr übersichtlich gehaltenen Frühstück und einer mürrisch dreinschauenden Servicekraft konfrontiert.
Zwei Scheiben Wurst, ein Käsescheibe, dazu etwas Brot halte ich für nicht ausreichend und moniere das. Die Dame, eine amtliche Bürgerin MeckPoms, macht der berüchtigten Sturheit ihres Volkes alle Ehre und bestimmt hätte ich den Kürzeren gezogen, wenn nicht der Hausherr unverhofft durch die Türe gekommen wäre.
Der wirft seiner Angestellten einen wirklich strafenden Blick zu, verschwindet in der Küche und schon kurz darauf gibt es ordentlich Nahrhaftes in ausreichenden Mengen.
Wenig später verabschiedet man sich mit Handschlag und schon gleich befinde ich mich auf einer sehr hässlichen Ausfallstraße Richtung Norden. Die frische Briese von gestern hat an Kraft nicht verloren und pustet mich lustig von der Seite an. Gleich darauf darf sie das auch von vorne, bis ich mich für kurze Zeit im Murchiner Wald vor ihr verstecken kann.
Gleich darauf bietet das Land aber keine Deckung mehr und füge ich mich meinem Los und durchquere eine wirklich unglaubliche Landschaft.


Sumpflandschaft am Peenestrom

Bald darauf kommt die Brücke von Zecherin in Sicht. Weiter rechts sieht man die alte Peneebrücke bei Karnin.


Zecheriner Brücke


Raketenadolfsbrücke bei Karnin

Nach der überquerung des Peenestroms halte ich mich rechts und fahre einen weiten Bogen über Karnin, Mönchow, Wilhelmshof und Klosterberg nach Usedom-City. Leider alles auf Teer – kein einziger Weg abseits der Sraße will sich mir auftun. Jeden noch so kleinen Weg, jede noch so schmale Straße haben sie hier mit der schwarzen Mumpe (all rights by jockel) übergossen.
Es lebe der Tourismus! Alles ist super ausgeschildert, informative Täfelchen alle Nase lang, die einem auf zwei Stellen hinter dem Komma genau sagen, wie weit es noch bis zum nächsten Ort ist. Grausam! Die Monotonie der Landschaft ist auch nicht zu überbieten: Grüne Wiese, schwarze Strasse – das war´s.
Hier zeigt sich auch die Realitätsferne der Tourismusentwickler oder auch die vollkommen idiotische Verteilung von EU-Geldern in strukturschwache Regionen.
Die Nester, die ich durchfuhr, waren wie ausgestorben. Kein einladender Dorfkrug, kein Platz zum kurz verweilen und das Beste: Kein Mensch auf der Strecke!
Warum kann man diese Orte nicht einfach in ihrer Ursprünglichkeit und Vergessenheit belassen? So oder so kommt hier kein Aas mehr vorbei!
Die Sandpisten und Buckelpisten, die diese Flecken miteinander verbinden, sind vollkommen ausreichend!
Für die paar Fernradler kann man ja gerne einen Velohighway quer durch die Botanik gießen, aber eben nur EINEN, und nicht gleich jeden Feldweg seiner ursprünglichen Bestimmung berauben.
So genug geschimpft – nach Usedom-City und zwanzig Kilometer stupides Straßenfahren bietet sich mir eine Alternative zum Asphalt, die ich natürlich nicht auslasse.
Eben noch Topfeben rolle ich die Hügel rauf und runter.


Lustige Hügellandschaft

Unterhalb von Suckow geht es erst zum Pisselberg (Fette 29Meter), dann zum Kirchenberg (ein krasser 50er) hoch nach Morgenitz. Man beschäftigt sich hier neben dem Tourismus vor allem mit der Pferdezucht. Gottseidank sind wir noch weit von der Hauptsaison entfernt und so gehört mir der Weg nach Mellenthin ganz allein. Hier gibt es ein wirklich schönes Wasserschloss zu sehen. Nach einem kurzen Koffeinrausch kämpfe ich mich zuerst den Fuchsberg hoch (satte 20 Meter) und dann nach Neppermin. Gleich darauf der Uferweg entlang des Achterwassers – traumhaft! Mal durch den Morast direkt am Ufer, dann wieder zehn Meter über dem Wasser mit Blick weit über den Bodden.


Am Achterwasser


kurz vorm Deich

Dieser Weg ist leider viel zu kurz und so setze ich meine Reise über den Deich fort. Der Deichweg führt mich direkt nach Ückeritz – endlich, das Meer!!!


Poser

Was jetzt kommt war allein die ganze Reise wert: der Steilküstenpfad! Immer an der Kante lang, bis knapp sechzig Meter über dem Meer Es ist einfach unglaublich, welchen Flow dieser Trail hat, ein permanentes rechts, links, hoch, runter, kurze Rampen, fiese Stiche dann wieder rollen und zirkeln – mir läuft das Adrenalin aus Ohren und Nase!




Steilküstentrail

Mit kleinen Unterbrechungen komme ich auf knapp zwanzig Kilometer bis kurz vor Karlshagen. Und weil´s so schön war fahre ihn einfach noch mal zurück.


Krasse 16%!

Ausgepumpt komme ich nach weiteren 25Kilometern in den Ausläufern der Badeortzivilisation an und es verschlägt mir die Sprache. Bansin, Heringsdorf und Ahlbeck, mittlerweile zu einer Phalanx komplexer Strandverbauung verschmolzen zeigen sich von ihrer ganzen Pracht. Kaiservillen, mondäne Hotels und Ferienhäuser wo hin man auch blickt. Zwischendrin und mittenmang: Leute weit jenseits des Berufslebens in Funktionsbekleidung und Designerbeachwear. Aha denke ich, hat es mich anscheinend in eine, der letzten Enklaven der Freizeitrepublik verschlagen? Nummernschilder al(t)er Herren (Bundes)länder! Nichts wie weg – die Strandpromenade eignet sich eh nicht so gut zum Biken obwohl ich wahrscheinlich allein durch das sonore Brummen meiner Reifen ein Massenherzinfarkt auslösen könnte, auf dieser Allee der Glücksehligen.
Kurz in die Karte geschaut: Aha! – von Kamminke geht eine Fähre nach Ückermünde! Aufs Pony geschwungen und nichts wie hin da!
Nochmal 12Kilomter bis dahin durch ein Gebiet, was als kleine Schwester der märkischen Schweiz gelten kann, noch mal siebzig Meter Höhenunterschied. Dicht an der polnischen Grenze, vorbei am Wolgast- und Zerninsee kurbel ich bis in das kleine Fischerdorf. Total tote Hose! Nichts mit Fähre.


Kamminke – Downhillcity!

„Die fährt nur Ende Mai bis Ende August“ belehrt mich ein Einwohner ohne erkennbare Vitalfunktionen. Weiter hinten lungert die Dorfjugend in einem eigens dafür abgestellten Wohnwagen herum und übt sich im Leertrinken von Bierflaschen.
Autsch – eben noch das quirlige Treiben lebenshungriger Senioren beobachtet und jetzt Zeuge der Verelendung der zukünftigen Leistungsträger – keine fünfzehn Kilometer entfernt.
Zeitreisen kann nicht abwechslungsreicher sein.
Irgendwas wird dann noch vom Wohnwagen herüber gegrölt, ich verspüre aber keine Lust in Erfahrung zu bringen, was es denn nun war, was diese, von der eigenen Existenz Gelangweilten, mir unbedingt noch mitteilen wollten und verlasse den trostlosen Flecken wieder in Richtung Küste. Der Akku ist leer, ich kriege kaum noch Druck auf die Pedale und so wird die Rückfahrt eher ein Dahingeschleppe. Über Garz und Korswandt schaffe ich es tatsächlich bis Ahlbeck. Hier heißt es mal wieder: Quartiersuche!
Erstes Haus: 250EUR – Ich traue mich nicht nach Anzahl und Nationalitäten der inklusiven Gespielinnen zu fragen.
Zweites Hotel: Kühle 160EUR – Sauna? Jacuzzi? Massage?.- Fehlanzeige! Wenig später sind wir in Heringsdorf schon bei 104 Euronen – kann ja wohl nicht wahr sein – piefige Strandhotelbesitzer betreiben hier ungeniert moderne Wegelagerei! Falls der geneigte Leser unendlichen Luxus vermutet, der einen solchen Preis rechtfertigen könnte: Nicht die Bohne, klar, schon ordentlich aber nichts, wofür ein rechtschaffener Hotelier mehr als 60EUR nehmen würde!
OK, einen Versuch will ich mir noch geben bevor ich den Ort verlasse um es an anderer Stelle zu versuchen und steuere auf eine Villa zu, die deutlich Patina hat. Ich klingle und eine Frau mittleren Alters kommt heraus, läuft durch den Vorgarten auf mich zu und fragt freundlich, was ich den wolle.
„Ein Zimmer für die Nacht“, entgegne ich und bemerke lauter neugierige Damen „gehobenen“ Alters, die die Eingangstür säumen. Ich vermute das da zusammen ca 5000Jahre stehen und sage leicht verunsichert, dass ich das „Zimmer frei“ Schild gesehen hätte.
Das ist auch richtig, sagt die freundliche Frau, sieht mir meine leichte Verunsicherung an, öffnet mir die Tür und nennt einen sehr akzeptablen Übernachtungspreis auf meine Anfrage.
Was noch am Zaun aussah wie ein untermotorisiertes Deportationskommando (Ich) ist plötzlich zum Lieblingsschwiegerenkel (Wieder Ich!!!) mutiert. Ein zartes Oh und Ah geht durch die Schar der Zahnvollersatzträger. Ab sofort bin ich nur noch DER FAHRRADFAHRER.
Das Haus zur Bethanienruh erweist sich als absoluter Glücksgriff, nicht nur, was die charmante weibliche Gesellschaft angeht. Mit wird ein Zimmer zugeteilt, unterm Dach mit Blick auf das Meer. Bingo!


Room with a view

Nach dem Duschen und nur wenig später bereut es der Wirt des Mecklenburgischen Hofes bitterlich ein „All you can it“ – Buffet angeboten zu haben.

9 Kommentare

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  • Herrlicher Bericht Herr Boerge.
    Da möchte man am liebsten gleich los fahren und gucken ob das auch alles stimmt 🙂
    Ich hoffe wir kriegen noch einen detailierten Bericht von der Nacht mit den neugierigen Damen “gehobenen” Alters .

    Carl

  • Supi Boerge. Aber ich hoffe, Du weißt, was die „Raketenadolfsbrücke“ in Wirklichkeit ist. Ansonsten würde ich es Dir – aber nur Dir – erzählen. Vielleicht.

    Übrigens habe auch ich mich – vor gut 2 Jahren – mal auf den Weg gemacht, um in Heringsdorf Kindheitserinnerungen wachzurufen. War aber Fehlanzeige. Nichts mehr da…

  • Herrliches Gelese für den Morgen, es gibt sicher eine weitere Fortsetzung?! Und bitte berücksichtige auch sicher aufregenden Stunden zwischen dem „All you can eat“ und Frühstück am nächsten Morgen.

  • Jockel, erzählst du es mir auch, ganz leise ins Ohr? Bitttteeee!!!!!

    Wie immer ganz profan und ohne jedes Geheimnis: Es ist der traurige Rest der einstigen Eisenbahnhubbrücke Karnin
    Der Wiederaufbau der Eisenbahnstrecke von Ducherow nach Swinwmünde ist übrigens nach wie vor Teil des langfristigen Bundesverkehrswegeplanes (Internationale Schienenprojekte, vordringlicher Bedarf). Aber das kommt wohl erst, wenn Usedom sechspurig per Autobahn bis Ahlbeck angebunden ist. Schließlich fährt der freie Bürger Auto.

  • Sehr schöner Bericht! Den Steilküstenpfad durfte ich während eines Kuraufenthaltes im Februar kennenlernen und habe ihn dank mitgebrachtem MTB täglich unter die Reifen genommen (es folgte extremer Schwund von Körpergewicht). Leibhaftig werden wir das Meer am 29.4. in Ückeritz begrüßen. Vielleicht kommt ja jemand mit, der nicht um Göttingen kreist? (siehe: www.rennrad-news.de/forum/showthread.php?t=23346)

    Twobeers

  • Hatten Herr Boerge also weiterhin ordentlich Spaß auf der Tour durch die unbekannten Weiten des Vorpommerschen Küsten- und Hinterlandes. Und wie es scheint, hat Herr Boerge (und natürlich auch Meister Flitz) nun auch noch die Gelegenheit, fehlendes verkehrstechnisches Wissen nachzuholen. Unserem Jockel sei Dank.

    Wobei Meister Boerge mit seiner etwas ungenauen Bezeichnung dieses technischen Meisterwerkes auch darauf angespielt haben könnte, daß der in besagter Bildunterschrift benannte, ohne diese temporär zu öffnende Landverbindung, sein Projekt der Weltvernichtung nicht so gut hätte entwickeln können.

    Schließlich ist die heute genutzte Bahnzufahrt für die geteilte Insel in Wolgast erst vor wenigen Jahren entstanden. Bis dahin gab es eine Fährverbindung, die aber nur für Güterwagen und technisches Gerät genutzt wurde, auf die Insel und der gemeine Reisende mußte den Peenestrom zu Fuß mit Hilfe der nebenbei befindlichen Klappbrücke überqueren um in die Inselbahn zu steigen.

    Mich interessiert jetzt nur, wie der weitere Weg bewältigt wurde. Denn der beschriebene Schlafort ließe auch eine Weiterführung der Reise Richtung Osten zu, die zur ersten (?) dokumentierten Erkundungsfahrt eines ESK in die Ländereien hinter der Oder führen würde.

    Auf gehts,
    STW

  • Ein sehr schöner Bericht.

    (Fast) genau die Tour wollte ich vor 2 Jahren auch machen. Mit Zelt etc. auf dem Rücken; sozusagen Abenteuer light. In der Feldberger Ecke kann man nämlich auch ganz schick wild zelten.

    Hab dann so nach ca. 60km aufgegeben und den 13kg Rucksack fluchend wieder nach Berlin befördert. Gepäck ist mittlerweile optimiert, die Tour irgendwie in Vergessenheit geraten.

    Nur so als Anmerkungen:

    – Bei der Hubbrücke gibts auch eine Personenfähre (zumindest laut
    www.berlin-usedom-radweginfo.de
    ), eine nette Alternative find ich, zumal eigentlich nur für Fahrradtouristen machbar, denn man hat ja keinen Zubringer. Ich könnte mir vorstellen, sich auf einer solchen mit Blick auf die zigmal überquerte Zecheriner Brücke durchaus elitär vorzukommen 😉
    – Steilküstenflair gibts auch am Gnitz, wenn auch recht kurz; ebenso zwischen Ückeritz-Campingplatz und Bansin (hast Du wohl, wie das 16%-Foto vermuten läßt, ausgelassen)

    Vielleicht kann man sich ja mal irgendwann austauschen, würd mich freuen.

    Gruss
    Schotti

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