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Der Kahle, der Einsame, der mythische Berg – Mont Ventoux, ein Kurztrip in die Provence

Bei der Planung der Rückreise aus Sanremo hat meine akute Schweiz-Phobie das Augenmerk auf eine relativ neue Direktverbindung von Marseille nach Frankfurt gelenkt. Warum nicht mit dem TGV direkt nach Hause ohne Umsteigen. Da die einmal am Tag verkehrende Verbindung frühmorgens um 8 Uhr in Marseille startet, benötige ich noch eine Übernachtung. Und wo sollte man auf dem Weg von Sanremo nach Marseille halten? Ich entscheide mich spontan für die Provence, schließlich hält der Zug auch in Aix und Avignon. Aus einer Übernachtung werden drei und Lorenzo schließt sich meinen Plänen an. Die Bezwingung des Mont Ventoux von der klassischen Südseite aus Bédoin ist unser Ziel.

Nach dem Frühstück in Sanremo bringt uns Nic schnell rüber nach Frankreich zur Mietwagenstation. Dort laden wir unser Transferfahrzeug und donnern über Monte Carlo gen Nizza und dann ins Landesinnere.

Monte Carlo ist pottehäßlich

Traumhafte Straßen in einer phantastischen Umgebung erwarten uns auf dem Weg nach Bédoin. Es geht u. a. durch die Gorges du Verdon und über zahlreiche kleinere und größere Berge.

Mitten im Gorges du Verdon

Und dann auf einmal steht er vor uns – der Mont Ventoux. Schon der Anblick ist beeindruckend, die Geschichten und Mythen lassen die Knie ein wenig schlackern. Die Vorfreude ist riesengroß und ich bin schwer begeistert von der ganzen Umgebung. Auch die Atmosphäre in den Dörfern rund um den Berg ist grandios. Überall Radfahrer aller Colouer, vom Klapprad, Reiserad mit 5 Gepäcktaschen, bis zum Highend ist alles vertreten. Und alle haben nur ein Ziel, da hoch!

Der erste Blick auf den Berg

Nach den Strapazen vom Sonntag und dem Reisetag am Montag planen wir für Dienstag eine „kleine“ Einführungsrunde. Von unserem Quartier in St. Colombe rollen wir zunächst nach Flassan und dann nach Villes-sur-Auzon. Dort ist der Einstieg zur Gorges e la Nesque, eine wunderschöne Schlucht mit grandiosen Ausblicken entlang einer schmalen Straße oberhalb des Wassers. Der Bach ist kaum zu erkennen, man sich kaum vorstellen, dass dieser Rinnsaal diese mächtige Schlucht tief in die Erde gefressen hat.
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Traumstraße Gorges de la Nesque

GdlN
Blick auf die Schlucht und im Hintergrund der Mont Ventoux

Die malerische Straße D 942 führt 22km in wilden Kurven und Naturtunneln 340 auf 850m ü. NN. Am Ausgang kommt man nach einer kurzen Abfahrt nach Monieux. In dem alten Bilderbuchdorf liegt ein feines Restaurant, welches mit allerlei Köstlichkeiten der französischen Küche aufwartet. Das lassen wir uns nicht entgehen und manchen einen ausgiebigen Verpflegungstop.

Gute Küche in Monieux

Nach der guten Küche und mit vollem Bauch nehmen wir vor dem Trüffelmuseum die kleine Straße links rein. Asphaltiert führt sie direkt hoch zur D1, 200 auf 1500 Metern. Dafür ist man wieder auf der Höhe und kann mit der D1A ein weiteres Highlight der Straßenführung begutachten. Nahezu immer auf gleicher Höhe schlengelt sich die Straße durch den Wald zurück nach Flassan.

Schöne alte Straßen, D1A und D217 nach Flassans

Von dort sind es nur ein paar Kilometer durch die Obstfelder bis zurück nach St. Colombe. Für einen Ruhetag sind die 61km mit 820hm ganz ordentlich. Der nächste Tag soll anstrengender werden!

Profil der durch den Gorges de la Nesque

Es ist Mittwoch der 12. Juni 2013 und heute möchte ich mich in die lange Reihe von Personen einreihen, die den Gipfel der Provence bezwungen haben. Ob mir das nur drei Tage nach meiner ersten 300km-Tour wirklich gelingen wird? Nach ausgiebigem Frühstück starten wir um kurz nach 900 in St. Colombe. Um gar keine Diskussionen über etwaige Mogelpackungen aufkommen zu lassen, rollen wir zunächst runter nach Bédoin. Dort ist der Start der klassischen Route, jeder Kilometerstein gibt die Höhe und die restliche Entfernung bis zum Gipfel an. 22 Kilometer und knapp 1600 Höhenmeter sind zu bewältigen.

Start in Bédoin am Kilometer 0

In den einschlägigen Foren sind eine Menge an Berichten und Geschichten zu finden. Ich bin gespannt was davon wirklich zutrifft. Die ersten Kilometer durch die Weinberge zum Wald sollen moderat sein. Meine Beine sind noch schwer von den vergangenen Tagen und ich versuche so schonend wie möglich meinen Rhythmus zu finden. Bei unserer Herberge nach vier KM biegt Lorenzo kurz ab, um nochmal Wasser aufzufüllen. Bereits hier war die erste Flasche halbleer, es ist trotz des frühen Morgens ziemlich warm. Keine Wolke trübt den Himmel und es werden 28° erwartet.

Ich rolle gemütlich weiter und rechne eigentlich bis zum Einstieg in den Wald damit, dass er wieder zu mir aufschließt. Das ist aber nicht der Fall und plötzlich fängt die Schinderei so richtig an. Ab jetzt soll es für acht Kilometer mit Steigungswerten von konstant 10% nach oben gehen. Und ja, es stimmt, jeder Kilometer bringt uns 100 Höhenmeter dem Ziel näher. Unzählige Radler versuchen ihr Glück, Überholvorgänge gleichen Schneckenrennen und hier und da stehen Begleiter mit ihren Fahrzeugen an den Parkbuchten und feuern die Fahrer an.

Ich habe meinen Rhythmus gefunden, 39:30, manchmal im Wiegetritt auch 39:28. Fast alle anderen haben Kompakt montiert, gut zu beobachten bei den Überholvorgängen in Zeitlupe. In den ganz steilen Abschnitten bringt mir meine Übersetzung Geschwindigkeitsvorteile. Langsamer geht es nicht, sonst falle ich um. Meinen Kopf habe völlig ausgeschaltet, volle Konzentration auf das rotieren des Kettenblattes.

Im Wald sieht man kaum weiter als die nächsten paar Meter, das Chalet Reynard will und will nicht kommen. Immer wieder wartet ein neues Steilstück und meine Wasservorräte gehen dramatisch zu Neige. Endlich sieht man das Chalet, den Parkplatz und die Kreuzung mit der Straße aus Sault. Am Chalet fühle ich beide Flaschen und da kommt Lorenzo. Er füllt ebenfalls Wasser nach und wir starten gemeinsam auf die letzten 6 Kilometer.

Jetzt kommt man in den Teil, der zur Berühmtheit des Berges beigetragen hat. Kein Baum, kein Strauch und kein Grashalm sind hier ober zu sehen. Nur Steine, Steine, Steine. Und man sieht den Gipfel jederzeit, da hilft nur nach unten auf die Straße, zum Vordermann oder in die Landschaft zu schauen. Davon gibt es reichlich.

Steinwüste unterhalb des Gipfels

Lorenzo schlägt für meine Verhältnisse einen Gang zu hoch ein, doch ich kann ihm folgen. Wir wechseln uns gegenseitig in der Führung ab, da hier im ungeschützten Teil, der Wind sich doch deutlich bemerkbar macht.

Am rechten Straßenrand taucht das Tony-Simpson-Denkmal auf

An der 1000 Meter-Marke löse ich mich von Lorenzo und bei 500 Metern ziehe ich nochmal richtig. Die letzte Rampe zum Gipfel und tief Luft holen. Ein ganz schöner Trubel herrscht hier oben. Einige verrückte wollen zum Club der Spinner gehören, welche den Ventoux dreimal an einem Tag gefahren sind. Für die Kontrollkarte gibt es hier oben eine Stempelstation. Ich bin mit einem Mal zufrieden und genieße die Aussicht.

Am Gipfel des Mont Ventoux

Panorama
Gipfelpanorama

Mit warmen Sachen geht es dann runter nach Malaucene, eine Wahnsinnsabfahrt mit unzähligen traumhaften Ausblicken. Der Verkehr hält sich in dieser Richtung in Grenzen und nur ein Auto überholt mich auf den 21 Kilometern. Dafür ist im Dorf umso mehr los, es ist Wochenmarkt. Das gibt uns die Gelegenheit die Nahrungsmittelvorräte aufzufrischen und etwas außerhalb von Malaucene ein Picknick entlang der Route einzulegen.

Welche Route frage ich mich eigentlich, aber da hat mich Lorenzo schon davon überzeugt, den tollen Tag mit einer längeren Runde abzuschließen. Länger bedeutet, dass wir den Ventoux nördlich umfahren, an der Ostseite vorbei zurück in den Süden zu unserem Ausgangspunkt. Doch der Reihe nach.

Von Malaucene nehmen wir die winzige D242 nach Veaux. Das Nest besteht nur aus einer Handvoll Häusern, wiedermal sehr malerisch wie so vieles hier. Die Straße ein echter Knaller, dafür ist bei mir gerade der Tiefpunkt des Tages erreicht. Ich kann das Hinterrad meines Mitfahrers nicht halten und platze ständig weg. Der volle Bauch, die Anstrengungen des Ventoux und die Mittagshitze geben mir den Rest. Die Kilometer nach Veaux und dann weiter nach St-Léger-du-Ventoux werden zur Qual. Zum Glück gibt es in jedem Dorf einen Brunnen, frisches Wasser und ein bisschen Schatten sind somit sicher.
Brunnen
Überall gibt es zum Glück Brunnen

Langsam erhole ich mich und kann wieder etwas von der Umgebung genießen. Wir fahren die D40, später die D72 in östlicher Richtung bis Reilhanette und biegen dort nach Süden auf die D542 bis Aurel und in Richtung Sault auf der D942 ab. Sault liegt auf knapp 800m ü. NN und ist die dritte Möglichkeit den Ventoux zu befahren. Allgemein gilt diese Auffahrt als die leichteste, sind doch „nur“ 1200hm zu bewältigen. Im Augenblick wird die Straße jedoch erneuert, sodass sich diese Option momentan erübrigt.
Dörfchen
Ursprüngliche Dörfchen entlang der Strecke

Stattdessen fahren wir weiter nach Monieux und steigen heute in umgekehrter Richtung in den Gorges de la Nesque ein. Bergab natürlich fast noch schöner, vor allem nach den Strapazen des Tages, rollt es sehr angenehm die 22km bis nach Villes-sur-Auzon. Von dort über Flasson nach Bédoin zu unserem Ausgangsort der Vetoux-Bezwingung. Die letzten 130 Höhenmeter zur Herberge in St. Colombe fallen schwer, sind aber deutlich schneller als heute Morgen zurück gelegt. Am Ende meiner ersten und Lorenzos zweiten Ventoux-Befahrung liegen 2850 Höhenmeter und knapp 150km hinter uns.
Bezwinger
Am Ende des Tags glücklich und kaputt

Eine wahre Reizüberflutung, unglaublich schöne Landschaften, Straßen für Rennräder gemacht, Auf- und Abfahrten von denen ich bisher nur geträumt habe – ich kann das alles kaum in Worte fassen. Mein Tipp: Hinfahren, nachmachen und genießen – es lohnt sich!!!

Profil der imposanten Runde um den Mont Ventoux

Mehr Bilder gibts hier

PS: Ein Blick in das Archiv zeigt, dass auch andere Kader bereits das Vergnügen hatten. Ganz großer Respekt an S-Punkt, da mit 39:25 hoch zu fahren!!!

darkdesigner

10 Kommentare

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