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Cottbus – Riesengebirge und zurück

Bei meiner letzten Mountainbiketour im Iser- und Riesengebirge mit Frö vor drei Wochen passierten wir am westlichen Beginn des Riesengebirges die exponiert auf einer Bergspitze liegende Reifträger-Baude. Wie wir sahen, könnte man diese hochgelegene Baude durch einen gepflasterten Fahrweg erreichen. Noch in der Erinnerung an unsere zurückliegende Adolf-Huschke-Gedenkfahrt mit den alten Stahlrennrädern über Kopfsteinpflasterstraßen schwelgend, ersann ich die Idee eines glorreichen Finales einer langen Fahrradtour mit dem Rennrad hier oben auf dieser Baude. Ein sehr steiler Schlussanstieg auf einem Pflasterweg, 800 letzte Höhenmeter mit direkter Zielankunft in einer zünftigen Bergbaude, die sonst nur Wanderer erreichen – wie irre!

Die Reifträgerbaude liegt auf einer Bergspitze und markiert den ersten wirklich hohen Punkt des tschechisch-polnischen Riesengebirges. Von hier an starten die meisten Wanderer ihre Treks auf dem Hauptkamm des Gebirges gen Osten. Der Reifträger ist 1362 Meter hoch und oben drauf steht die besagte Berghütte. Im Winter pfeift hier meist ein strenger Schneesturm und es ist arktisch kalt. So kannte ich den Reiftäger von unseren Skitouren. Im Sommer, bei Sonnenschein und warmen Temperaturen, wie am vergangenen Wochenende, wirkt dieser über der Waldgrenze gelegene Punkt fast romantisch. Dennoch: von dem Städtchen Szklarska Poreba im Tal bin hoch zur Baude sind es 800 Höhenmeter am Stück. Kurz auf breiter Straße, dann auf einem schmalen kaputten Teerweg, aber die meiste Zeit unglaublich steil ansteigend auf einem aus puren Felssteinen gepflasterten Fahrweg. Genau das richtige für das heroische Finale einer Rennradtour.

Es war mir ganz lieb, dieses Vorhaben zum ersten Mal auf eigene Faust, also alleine zu bewältigen. Zur Vorbereitung der L’Eroica in Italien wollte ich etwas Kilometer in die Beine bekommen. Außerdem brauchte diese Tour ein tatkräftiges Motto. Zum Beispiel: Cottbus-Reifträger!
Berlin ist als Startpunkt zu weit weg, Göritz zu nah dran – in der Mitte liegt Cottbus und gut zu erreichen ist es auch. Auf dem Parktplatz eines kleinen Dorfbahnhofes südlich von Cottbus ließ ich mein motorisiertes Gefährt stehen. Am nächsten Tag würde hier rückzu der Zug auch wieder halten. Ich startete pünktlich um sieben Uhr morgens. Und passend das harte Finale vorwegnehmend, war der erste Kilometer vom Startörtchen Bagenz aus nicht asphaltiert, sondern anständig gepflastertertertert.

Mit unterkühlten Füßen und schlotternden Armen ging es auf den ersten Kilometern von Cottbus Richtung Neiße frisch voran. Die Streckenführung hatte ich mir im Vorhinein eingeprägt und so ging es flott über die Dörfer nach Bad Muskau. Von hier an sollte es dem Verlauf der Neiße folgend auf einer kleinen Landstraße nach Görlitz gehen. Am Ortsausgang bergrüßte mich eine Schild mit „Göritz 50km“. Der größte Teil dieser flachen 50km bestand aus Kiefernwald links und Kiefernwald rechts. Unterwegs zehrte ich meinen mitgebrachten Proviant auf. Gegenwind kann ich ganz schlecht ab. Bei ständigem leichten Gegenwind erreichte ich, in selbsteingerederter Vorfreude auf einen Kaffee, Görlitz. In der wunderschönen Altstadt genoss ich, in der Sonne sitzend, einen Latte Makkiato und ein großes Stück Eierschecke.

Ein meiner wohlgenossenen Naivität erachtete ich das Stück Eierschecke als ausreichend, um meinen Hunger bis an den Rand der hohen Berge zu decken.
Die knapp 100km bis Görlitz waren nur flach und kiefer. Hinter Görlitz bzw. auf polnischer Seite dann Zgorzelec, änderte sich das Landschaftsbild. Es wurde leicht hügelig und hinten am Horizont zeichneten sich die hohen Berge des Iser- und Riesengebirges ab. Ich konnte mich nicht entscheiden ob drohend oder einladend – aber sicher anziehend. Die Fahrt auf kleinen polnischen Nebenstraßen war zwar kurzlebig und erfrischend, zog sich aber länger dahin als gedacht. Meistens kreisten meine Gedanken um die fehlenende Pannensicherheit meiner Schlauchreifen. Oft war die Straßen übersäht von Splitt, Schotter, Steinen, Schiessmichtot. Jesses, zum Glück ist nichts passiert.

So allmählich radelte ich mich in einen nahenden Hungerast. Da kam das Ortseingangsschild von Zwiradow Zdroj und ich wusste, dass es dort eine Orlen-Tankstelle gibt, an der man Hotdogs kaufen kann. Später kam ein weiteres Schild, dass es rechts zum „Centrum“ ginge. Also erstmal rechts rum und: bergauf, steil bergauf, nur Wald und bergauf. Dann: bergab, steil bergab. Die Verzweiflung war fast schon größer als mein Loch im Magen, erreichte ich, halb im Delirium, die Tankstelle und orderte vier Hotdogs. Kurz überlegt beließ ich es bei zweien und einem Bier.

Gut gesättigt ging es von Zwiradow erstmal acht Kilomter bergauf und dann wieder bergab nach Szklarska Poreba. Meine Gedanken an Aufgabe hatte ich bereits verdrengt. Von hier nurnoch 800 Höhenmeter. Ich lag gut in der Zeit. Bis 19:00 sollte es oben auf dem Reiftäger Warme Küche geben.
Nur zur allgemeinen Vorstellung: Das interessante an dieser Tour ist, dass es bis Görlitz gänzlich flach ist und auch bis Szklarska Poreba nur ein paar Wälder und je nach Fitness mehr oder weniger ernstzunehmende Hügel auf dem Weg liegen. Aber von hier an, von hier an geht es direkt hoch ins Hochgebirge. Hinauf aufs Riesengebirge. Bis hierher hatte ich irgendwas zwischen 160 oder 170 Kilometern in den Beinen und nun begann das Finale!

Nach zwei Kilometern auf der breiten Bergstraße bog links ein kleiner, sehr schlecht asphaltierter Weg ab. Also links rein und mittelmäßig steigend bergan. Ich ließ merklich Luft von meinen Schlauchreifen ab, sodass sie schon fast an jeder Teerkante durchschlugen aber auch weniger Rollwiderstand boten. Nach einem weiteren Kilometer begann die Tortour! Ich erkannte den Holzbogen, der den Eingang zum Nationalpark markiert, und den steilen steilen Fahrweg vor mir, der sich, aus der Steigung kommend, trotzdem wie eine Senkrechte vor mir aufstellte. Und das war nicht alles! Der Weg war nicht nur einfach gepflastert. Er bestand eigentlich nur aus wahllos auf einer Senkrechten verstreuten Felssteinen. Spitze und schräge Steine mit armdicken Spalten dazwischen.

Kurz gesagt: Mehr als ich es mir erdacht oder erträumt hatte, war dieser Wanderweg einfach nur eine Tortour. Unglaublich steil, unglaublich schlecht, unglaublich böse. Trotz der vorangegangenen 170km quälte ich mich sogut es ging. Viele Abschnitte konnte ich fahren, doch hin und wieder musste ich absteigen und schieben. Einmal fiel ich sogar vom Rad – unter Beobachtung eines Dutzends versteinert guckender polnischer Wanderer. Aber auch schieben/laufen war auf den Steinen eine Qual, also fuhr ich wo es nur ging. Weiter nach oben wurde die Wegbeschaffenheit besser und eine Art Plattensteine ersetzte die FelSkopfsteinpflasterstraße. Ab und an musste ich ob der Anstrengung anhalten, in kleinen Schlängellinien kämpfte ich mich den Plattenweg bergan und doch hatte ich Angst ich würde umkippen oder mir würde das Herz aus der Brust springen.

Bei Sonnenschein erreichte ich fahrend die Hütte auf der kahlen Kuppe des 1362m hoch gelegenen Reifträgers. Es war halb fünf am Nachmittag. Wow! Noch genug Zeit für Bierchen und Essen.
Zimmer klarmachen, Bierchen in der Sonne, Duschen, Bierchen in der Sonne, Kippe in der Sonne, Essen und Bierchen. Um acht Uhr abends bin ich ins Bett gefallen.
Was für ein Abschluss dieses Tages! Der Reifträger ist der nächstgelegende Berg dieser Höhenlage, den man von Berlin aus erreichen kann. Hier hat man das Gefühl, dass man wirklich richtig weit oben in den Bergen ist. Es ist toll, wenn man dort vor der Baude sitzt, auf fast 1400mm, der Blick gen Westen in Richtung der untergehenden Sonne, in der weiten Ferne die Böhmische Schweiz und das Erzgebirge, unter einem die Berge und Täler und Ebenen Polens und Tschechiens. Und man selber, heute morgen noch in Berlin losgefahren, nach einigen gerne fast schon vergessenene Strapazen, den leuchtenden Sonnenuntergang in der Stille der Berge zum Greifen nahe. Nur eins zwei Hirsche röhren unten im Tal.

So erlebnisreich der erste Tag war, so schön war der zweite Tag. Ich musste ja irgendwie vom Reifträger wieder zurück nähe Cottbus zum Auto und nach Berlin kommen. In aller Kürze:
Auf keinen Fall den selben Weg begab! Also das Rennrad über den Hauptkamm des Riesengebirges schiebend hinüber nach Tschechien und hinunter nach Harrachov, weiter bergab, dann hinauf nach Korenov und Horni Polubni und wieder runter nach Sous. Von Sous aus fuhr ich wieder bergan und das Isergebirge querend bis nach Smedava. Es war eine tolle Fahrt. Ich weiß nicht, welche Worte das wiedergeben. Diese Gegend hat es mir ja sowieso schon immer angetan, aber dort im Spätsommer, bei Sonne und milden Temperaturen mit dem alten Rennrad durch die Berge zu gleiten war einfach unbezahlbar. Wunderschön.

Um elf Uhr gab es in Smedava eine riesen Portion ähhh Riesenportion Knödel mit Gulasch. Nach Smedava folgte eine serpentinenreiche „jaaaahhhh“ Abfahrt. Aufgrund von mehreren Baustellen, Straßensperrungen und Um- sowie Verfahrungen fuhr ich dann nicht, wie angedacht nach Zittau, sondern wieder nach Görlitz und bestieg dort den Zug nach Cottbus.
Der zweite Tag wartete immerhin mit 100km auf sich. Es war ein Tag für die Seele. Eigentlich waren beide Tage für die Seele. Im Harten wie ich Seichten. Einfach so, früh morgens aus Berlin raus, den ganzen Tag Radfahren durch unbekannte Gebiete, Schindereien und Qualen, abends im untergehenden Sonnenschein hoch oben in den Bergen in Frieden und mit dem Blick in die Ferne ein Bier trinken und am nächsten Tag zurück. Soetwas kann Dir nur das Fahrrad geben, danke!

rb

14 Kommentare

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  • Boah Rob, genial! Auch wenn sich die ganz besonderen Erlebnisse grundsätzlich nicht duplizieren lassen, schreit das nach Wiederholung…

    Würdest Du im Rückblick die Anfahrt zu diesem epischen Anstieg anders gestalten?

  • Fantastico Ragazzo!

    Das System Rob lebt und funktioniert. Übers Jahr nicht viel fahren, kurz vor Gaiole die Huschke und ein selbsgemachtes Martyrium – reicht.

    Aber sag mal, seh‘ ich da ein Somec, DAS Somec? Ist das Ende von Team Ru-Fa besiegelt? Ich ruf mal den Peter Post an, vielleicht lässt sich bis zum 07.10. noch was machen und Du startest in Rot-Gelb-Schwarz.

    Ciao, il tuo amico boom

  • Geniale Zeilen , ein tolles Abenteuer und schöne Bilder. Was will man mehr? Richtig, selber mal wieder ein Abenteuer erleben…

    Twobeers

  • „Ich startete pünktlich um sieben Uhr morgens.“ Rob, Du hast Dir ja die größte Tortur gleich zum Start selbst eingebrockt. Aber: Schöne Zeilen, schöne Fotos!

  • Danke Rob für die Einstimmung aufs kommende Wochenende. Die Muur von Zwiradow hat mir auch schon einie male eine Laktatdusche verpasst. Den Gulasch in der Smedavabaude werden wir sicher auch mal probieren.
    Ich geh dann mal packen…

  • Wonkel, ich hoffe ihr habt nur annhähernd so gutes Wetter am kommenden Wochenende. Die Muur von Zwiradow ist ein elendiges Mistteil, do!

    Husten, anders machen würde ich nicht viel. Höchstens noch ein paar Riegel o.ä. einstecken gegen den Hunger in der polnischen Provinz. Und für den Anstieg vielleicht ein Schraubfreilauf mit einem 28er statt 26 als größtem Ritzel – oder mehr Punch in den Beinen. Aber von der Strecke her würde ich alles genauso machen, das war großartig.
    Gerne will ich diese Tour mit euch wiederholen. Allein schon, um euch im finalen Anstieg fluchen zu hören und sehen :]

    Gewisse textliche Wiederholungen oder unklare Ausschweifungen sowie kleine Fehlerchen bitte ich zu entschuldigen. Durch den Fluss des Schreibens war gestern Nacht um 4 dann die Weinflasche doch alle…

  • Und nicht nur „So etwas kann Dir nur das Fahrrad geben, danke!“ sondern auch „Einfach so, früh morgens aus Berlin raus, den ganzen Tag Radfahren durch unbekannte Gebiete, Schindereien und Qualen, abends im untergehenden Sonnenschein hoch oben in den Bergen in Frieden und mit dem Blick in die Ferne ein Bier trinken und am nächsten Tag zurück.“ Herrlich!
    Herrlich! Ich mag ja solche Reisen von A nach B. Und wenn sie dann auch noch (so dufte!) beschrieben sind: yyeess! 🙂 Danke schön.

  • danke!

    aber och, alleine. ich habe ja nun nicht die antartiks überquert. handy hatte ich übrigens nicht dabei, weil im laden liegen lassen. aber was solls.
    ich finde es sehr schön, so etwas mal auf eigene faust zu machen. ohne diskussionen und absprachen, nur nach den eigenen gedanken, nach dem eigenen rhythmus, der eigenen verantwortung zu folgen, gewissen momente im stillen genießen zu können.

    dennoch teile ich schöne erlebnisse auch gerne, deswegen nächstes mal mit einer gruppe :]

  • Schöner Bericht, schöne Fahrt, wobei ich Iser- und Riesengebirge bislang immer nur von der tschechischen Seite gefahren bin. Aber welch tolle Gegend, und fast vor der Haustür. Der Startpunkt Cottbus erscheint ideal. Vl. kann man da auch ganz aufs Auto verzichten.
    Aber ganz richtig bemerkt: „ohne diskussionen und absprachen, nur nach den eigenen gedanken, nach dem eigenen rhythmus“ muß ab und zu mal sein.

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