Home » Touren » Kopfsache

Kopfsache


Von außen gesehen, scheint es ruhig geworden zu sein. Keine großen - oder sonstwas Ankündigungen in der Öffentlichkeit, nur wenige Wortmeldungen außerhalb der kaderinternen Kommunikationsplattformen. Der Grund hierfür liegt wohl darin, dass das ruhmreiche , im übertragenen Sinn, erwachsen geworden ist. Man weiß, was man aneinander hat. Radtechnisch gesehen macht ohnehin jeder, was ihm beliebt. Während der Eine verbissen auf selbst erfundene Saisonhöhepunkte hinarbeitet, hofft ein Anderer, dass durch das Rollen auf schmalen Reifen etwas von der Eleganz des Sportgerätes auf ihn übergeht. Wieder andere schaukeln sich still und einsam durch diverse Bewährungsproben, welche das Leben für sie bereit hält und nur ein kleines Fähnlein Zurückgebliebener sucht sein Heil in der Tourenfahrerei, welche das ESK seinerzeit groß gemacht hat. Da man sich beim Rad fahren, wie es das ESK betreibt ohnehin nicht unterhalten kann, trifft man sich lieber bei diversen kulturellen Veranstaltungen und sorgt auf diese Weise dafür, dass die anderen Bezirke des menschlichen Geistes welche sonst nicht oder nur wenig beansprucht werden würden nicht verkümmern. Genug der Vorrede, und zur eigentlichen Geschichte:


Da kann man schon mal trübsinnig werden (bei Fehrbellin)

Wie so oft in letzter Zeit versuchte Ampel die ESK-Elite durch eine nette Tour-Einladung zusammen zu trommeln. Und wie so oft in letzter Zeit mit überaus mäßigem Erfolg. Einer schob dringende Lernereien vor der finalen Lebensabschnittsprüfung vor, bei anderen wiederum stand im Trainingsplan alles andere als mit Freunden Rad zu fahren. Dann gab es da auch noch Figuren, welche erst zusagten, denen dann aber beim vorabendlichen Studieren des Wetterberichtes plötzlich diverse Dinge einfielen, welche um nichts in der Welt aufzuschieben waren. Irgendwie kann ich die Leute auch verstehen. Die Gegend zwischen Bad Wilsnack und – in weiten Teilen Prignitz genannt – ist aus allgemeiner Sicht nicht gerade der „Burner“. Flach, flacher, am flachsten, dazu kaum Wald, endlose Geraden, gerne auch auf Plattenwegen. Eine Gegend, in der der Wind am liebsten stark von vorne weht. Also genau richtig, um an einem grauen, windigen Tag seine Nerven zu strapazieren und eine einsame Spur in die unbewohnt wirkende Weite zu drücken.

Es kam wie es kommen musste, am Start – 09:30 / Bad Wilsnack – stand nur Ampel und ich.

Bad Wilsnack. Was gibt es dazu zu sagen? Flaches Land, gottverlassen. Eine so genannte Wunderblutkirche, welche angeblich im Mittelalter etablierten Pilgerorten wie Lourdes und Santiago de Compostella die Krone um die Pilgergunst streitig machte. Es ging wohl um drei blutbespritzte Hostien, welche auf wundersame Weise einen Kirchenbrand überstanden haben. Irgendwann, als sich die längst überfällige Reformation im Brandenburgischen festigte, machte ein beherzter, reformierter Geistlicher dem Spuk ein Ende, indem er die Hostien in den Kamin tat. Feierabend, Schluss mit der Pilgerei. Leider auch Schluss mit der Prosperität des Ackerbürgerstädchens. So richtig viel hat sich seither nicht getan am Orte. Gut, seit 1846 macht die „Berlin Hamburger Eisenbahn“ hier Station und seit Neuestem gibt es eine Therme. Aber sonst? Also genau der richtige Ort um eine ESK-Kaderfernfahrt von hier starten zu lassen.


Die Wunderblutkirche Bad Wilsnack

Nachdem die Kirche umrundet wurde, machten wir uns an die Arbeit. Bisher nur ahnend, dass es davon heute noch genug geben sollte. Zwar wehte der Wind kräftig aus westlicher Richtung, dass half uns aber leider nicht immer. Der Boden war über weite Strecken zäh und morastig, die Landschaft mochte aufgrund des trüben Lichtes – da kaum zu erkennen – auch nicht richtig zu begeistern. Während man teilweise mit knapp 40 km/h über endlose Plattenwege segelte, stand einem der eben noch hilfreiche Wind, nach einem ab und an notwendigen Richtungswechsel streng im Gesicht. Da aufgrund des bisweilen stürmischen Windes auch wenig zwischenmenschliche Kommunikation möglich war, blieb viel Zeit zum Nachdenken.


Die Plattenburg

Was mir dabei immer wieder gefällt ist, dass man tatsächlich niemanden trifft. Ich denke, auf den reichlich 130 Kilometern, welche wir gestern zurück legten, haben wir insgesamt vielleicht 10 Menschen getroffen. Auch auf den, aufgrund der Route, hin und wieder unausweichlichen Straßenabschnitten, kaum Verkehr. Die Welt schien still zu stehen. So still, wie Ritter Kahlbutz, dem wir selbstverständlich unsere Aufwartung machten. Nur Ampel, ich und die schöne Leiche. Viel erzählt hat er nicht. War wohl müde vom vielen angestarrt werden.

Auch am Ort der Schlacht bei Fehrbellin kamen wir irgendwann vorbei. Einst war hier alles Morast und Sumpf, so dass es den Preußen – obwohl zahlenmäßig unterlegen – möglich wurde, die Schweden, welche – obwohl der dreißigjährige Krieg schon eine Weile vorbei war – immer noch das Land durchstreiften, ordentlich was auf die Mütze zu geben. In Höhe des Schlachtdenkmals hatte auch ich irgendwie das Gefühl, etwas auf die Mütze bekommen zu haben. Leichte, noch unbedenkliche Ermüdungserscheinungen forderten ihren Tribut. Ich versuchte mittels diverser klebriger Präparate, deren Ablaufdatum bereits um deutlich mehr als ein Jahr zurück lag, dagegen anzukämpfen. Mit leider nur kurzfristigen Erfolg. Die restlichen 30-40 Kilometer, konnte ich dennoch einigermaßen würdevoll hinter mich bringen. Wir – der tapfere Ampel und ich – erreichten gegen 16:30 den rettenden S-Bahnhof Hennigsdorf, gönnten uns noch ein Feierabendbier und freuten uns des Lebens. Wir stimmten abschließend darüber überein, dass wir sicher nicht so bald in die Prignitz bzw. das Havelland zurückkehren werden, aber dennoch wird es nicht das letzte Mal gewesen sein. Irgendwann…


Kyritz

13 Kommentare

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

  • Wenn der Oberst einer Tour beiwohnt, kommt die Geschichte der besuchten Tourhöhepunkte nie zu kurz. Die Einleitung ist vortrefflich formuliert. Ich muss keine Ausreden finden, es naht ein Ende.
    Dank an den Oberst für die Zeilen. frenk

  • Vor einigen Wochen bekam ich das Buch von Hape Kerkeling über seine Erlebnisse auf der Pilgerreise entlang des Jacobsweges geschenkt. Da mich das Thema interessierte, recherchierte ich etwas und entdeckte, dass es auch direkt von unserer Haustür eine Lightversion dieses Pilgerweges gibt. Das rief geradezu nach KulTOUR. Wie Jockel schon schreibt, war die Resonanz auf den Aufruf nicht gerade überwältigend und umso froher war ich dann, Jockel als Mitstreiter an meiner Seite zu haben. Alleine wäre ich wohl aufgrund des trostlosen Wetters und der Menschenleere spätestens in Fehrbellin von der Brücke gesprungen.
    Nach der Ankunft in Bad Wilsnack heiß es dann erstmal einen gewissen Vorrat an Ablässen zu sammeln und so wurde die Wunderblutkirche mehrmals umrundet. Nachdem wir unser Ablasskonto vom Dispo ins Haben gebracht hatten, konnte der Pilgerweg mit gutem Gewissen in Angriff genommen werden.
    Anders als im Nord/Osten von Brandenburg erwarteten uns hier keine Anstiege oder große Laubwälder, sondern fieser Wind und plattes weites Land. Das erinnerte mich manchmal an meine Kindheit, als wir den Urlaub ein paar Mal in Ostfriesland verbrachten. Da ist es auch so flach, dass man schon morgens sehen kann, wer abends zu Besuch kommt.
    Nichtsdestotrotz bot die Tour viele Sehenswürdigkeiten, wie z.B. den Ritter Kahlbutz. Auch wenn die Charitè noch keine wissenschaftliche Begründung gefunden hat, warum der alte Mann noch so fit aussieht, habe ich ja meine eigene Theorie. Bei mindestens 40 Kindern, tippe ich einfach mal darauf, das Poppen in jeder Lebenslage gut für den Organismus ist.
    Es war landschaftlich mal was Anderes und hatte seinen Charme, aber wie Jockel schon sagt, jetzt reicht`s erstmal mit Plattenwegen, endlosen Feldern und von Forstmaschinen zerfurchten Waldwegen.

    Ampel

    PS.Habe ich schon erwähnt, dass es am nächsten Wochenende nach Schwedt gehen soll?

  • Cooles Ding, aber war der Titel vorhin nicht noch ein anderer? Das ganze Leben ist Kopfsache.

    Aber 130 km sind dann mit Euch beiden auch eine Körpersache und ich bin froh, daß ich gestern trotz ursprünglich anders lautender Ankündigung keine Zeit hatte.

    stw

  • Schöne Geschichte über eine Gegend, an der ich unverständlicherweise Gefallen finde – und hiermit sicher zu einer ganz seltenen (oder seltsamen) Art gehöre.
    Nun ja, ich habe meinen Unmut an anderer Stelle bereits kund getan: ohne Eure vielen taktischen Spontanumplanungen wäre ich ursprünglich ja dabei gewesen. So haben RiFli und ich kurzum einen Protestritt unternommen und haben der schönen Stadt Bernau und ihrer malerischen Umgebung einen Besuch abgestattet.

  • Zu unserem Protestritt muss aber auch gesagt werden, dass doch einige Telefonate vorausgingen, in deren Gesprächen die momentane Wetterlage uns fast auf die Rolle trieb. Nach ungefähr 30 minütigem Lamentieren und das nervige „Mutti“-Gerufe, hörte ich mich auf einmal den Satz sagen: „Der Regen ist mir egal, ich fahr jetzt!“ Erschrocken über mich selbst, traf ich aber damit den neuralgischen Punkt beim Herrn Acke – Trainingsvorteil! Keine 15 Minuten später trafen wir uns in Pankow und liesen uns den Regen ins Gesicht und den Matsch auf die Kette peitschen. Die 2 1/2 Stunden haben wir nicht bereut – vor allem der 10-sekundige Sonneschein erhellte unsere Stimmung und lies uns hoffen, die Zeit bis zum Frühjahr doch zu überstehen.

  • Achherrjeminee, welch schöne Tourenbeschreibung, danke Jockel, danke Ampel!!!

    Erinnere mich gerne an unsere gemeinsamen Ausfahrten vor einem Jahr bei teilweise ähnlichem Wetter. Auch ich würde gerne mal wieder etwas interessantes für die Kaderseite beitragen. Aber der 12te Bericht über die 86. Frankfurt-Umrundung interessiert nicht mal mich mehr. Für neue Gegenden und Abenteuer fehlt mir im Augenblick etwas die Zeit (Gründe gibts genug).

    Dafür bin ich nun regelmäßig in unserem Himmelfahrtsgebiet und klappere jeden Winkel ab, damit uns nichts entgehen wird. Vielleicht schaffe ich es in den nächsten Wochen ein paar Bilder zum Appetitt anregen zu veröffentlichen. Leider ist das Wetter auch bei uns mehr grau als blau…

    Und blauen Himmel möchte ich Euch wenigstens bieten,
    dd

  • „Dann gab es da auch noch Figuren, welche erst zusagten, denen dann aber beim vorabendlichen Studieren des Wetterberichtes plötzlich diverse Dinge einfielen, welche um nichts in der Welt aufzuschieben waren. “

    Hört hört.
    Vielleicht solltet ihrs doch mal wieder mitm IBC probieren, da ist die aktuelle Beteiligung bei Schlechtwettertouren irgendwie höher 😉
    Und Spass machts auch noch.

  • und wieder ein bißchen heimatkunde aus fremden landen. hört sich einerseits hart und langweilig an – und doch sind es bei mir gerade solche touren, die am längsten im gedächtnis bleiben. und zwar als schöne erlebnisse.
    rauher wind, weites, einsames land, ein guter freund, unter einem das surrende rad – was will man mehr?

    Und blauen Himmel möchte ich Euch wenigstens bieten…

    dunkelblau?

    bf

  • …und doch sind es bei mir gerade solche touren, die am längsten im gedächtnis bleiben. und zwar als schöne erlebnisse.

    Weise Worte großer Mann.

Archiv

Archive

Folgt uns auf