Home » Touren » „Quälend langsam“ oder „Nichts währt ewig“

„Quälend langsam“ oder „Nichts währt ewig“

Eigentlich wollte ich am Montag frei machen, um ein wenig im Wald umherzufahren. Doch am Freitag ergab sich die Chance, dem Ganzen einen offiziellen Charakter zu geben. In Seehausen (Uckermark) gab es was zu tun. Und wie kommt man da am besten hin und auch wieder zurück?

Wie der Ortskundige weiß, haben sich die bahntechnischen Bedingungen in und teilweise um die Hauptstadt aller Deutschen mit dem Fahrplanwechsel am 28.05. dramatisch geändert. Statt außen rum, fährt man nun unmittelbar unter der Stadt durch und spart auf diese Weise einen Haufen Zeit. So zumindest die Theorie.


Durch diese hohle Gasse soll er kommen…

Der von mir für die Anfahrt nach Norden favorisierte Zug fährt regulär von Süden kommend durch besagten Tunnel nach Norden. Laut I-Net Bahnauskunft aber ausgerechnet am gestrigen Tage nicht. Baubedingt sollte es über Lichtenberg gehen, wobei in Gesundbrunnen trotzdem gehalten werden sollte. Ich wunderte mich schon ein wenig, als ich das las, schloss es aber auch nicht grundsätzlich aus, da zumindest infrastrukturell die Voraussetzungen dafür existieren. Also am Morgen schön die Kinder auf Schule und Kindergarten verteilt und gaaanz gemütlich zum Gesundbrunnen. Dort einen leckeren „Guten Morgen Kaffee“ erstanden und – ich hatte noch 20 Minuten Zeit – es mir auf einem modernen Zweckmöbel gemütlich gemacht. Wie zufällig streift mein Blick einen der zahlreichen Aushänge, welche über Fahrplanänderungen informieren. Der RE3, stand dort sinngemäß zu lesen, verkehrt heute abweichend über Lichtenberg und Hohenschönhausen nach Bernau, alle Halte auf der Nord-Süd-Strecke, einschließlich Gesundbrunnen entfallen. Ätsch! Da stand ich nun mit meinem Kaffee in der Hand. Es war 8:15 und in Bernau sollte der Zug planmäßig :48 fahren. Also rüber zur S-Bahn, kein Zug nach Bernau, nur bis Buch. Egal, die verbleibenden Kilometer (ich rechnete mit 10) könnte ich ja auf dem Rad zurück legen. Käme noch eine Zugverspätung hinzu, könnte das zu schaffen sein. Hier kann man schon mal sehen, wie ich zugunsten des eigenen Vorteils, Zugverspätungen und damit verbundenes Leid anderer akzeptiere. Assozial!
Um es kurz zu machen, in Zepernick – ich spürte das erste Mal am gestrigen Tage meine schweren Beine – überholte mich der mehr als pünktliche Zug. Chancenlos trudelte ich weiter nach Bernau und verbrachte die knappe Stunde Wartezeit mit tatenlosem Herumlungern im Park, wobei mir ein paar der lokalen Arbeitslosen behilflich waren.

Auch der nächste Zug nach Norden war pünktlich, mit dem Unterschied, dass ich nun an Bord war. Ich hatte nun rund 40 Minuten Zeit, bis ich mein Ziel Angermünde erreicht haben würde. Und was macht nun der zugfahrende Zweiradaktivist? Richtig, er weidet sich am Anblick seines Velos. Rückt hier etwas hin, drückt dort etwas zurecht und entfernt den ein oder anderen Schmutzfleck. Ach hätte ich das mal nicht getan. Denn was zum Vorschein kam, war ein Riss. Zwar klein, aber vorhanden. Sollten unsere gemeinsamen Tage, nach 6 Jahren und 35.000 Kilometern gezählt sein? Ich beschloss, zumindest heute nicht mehr daran zu denken und so zu verfahren, wie beabsichtigt und mich am Nachmittag über alle bleibenden Möglichkeiten zu erkundigen. Gesagt getan.


So sieht er aus, der Riss

In Angermünde knallte mir eine unbarmherzige Sonne auf den Styroporhelm, dass befürchtet werden musste, dass mir dieser auf der Rübe schmilzt. Die einzige Möglichkeit, ihn vor diesem Schicksal zu bewahren bestand darin, so schnell wie möglich Fahrt aufzunehmen und den Fahrtwind das Übrige tun zu lassen. Doch was war das? Meine Beine arbeiteten irgendwie drehzahlreduziert. Wie sehr ich auch presste und drückte, irgendwie kam nie das Gefühl auf, ich würde mich mit übermäßiger Leichtigkeit bewegen. Jeder dieser verdammten Kilometer, von welchen sich am Ende des Tages 130 gesammelt haben würden, wollte hart erkämpft werden. Dabei ging es eigentlich auch mit den Wegverhältnissen. Der Regen der letzten Tage hatte den sonst vorhandenen Sand einigermaßen gebunden und die Landschaft hatte sich in sommerlicher Blüte glänzend herausgeputzt.
Langsam, mit gefühlten 22% Steigung ging es erst nach Norden. Durch herrliche Wälder, vorbei an sprießenden Getreidekulturen und den sie bewirtschaftenden, braven Bauersleuten, wurde über Peetzig, Willmersdorf und Quast. Seehausen erreicht. Hier wurde getan, was getan werden musste und dann begann das Leiden richtig. Mit geänderter Marschrichtung, es ging nun vorwiegend nach Westen, kamen auch die kaum merklichen, aber stets vorhandenen, uckermärkischen Hügelketten. Ich meine diese Wege, welche dem darauf Fahrenden suggerieren, es würde durch die Ebene gehen, auf denen aber so rein garnichts rollt. Verzweifelt versucht der Pedaleur die Schlagzahl zu erhöhen, um den wachsenden Fahrwiderstand zu trotzen, die Schenkel fangen an zu glühen, die Rübe tut es ohnehin schon, doch nichts nennenswertes passiert, zumindest nichts was sich auf einem Tacho ablesen ließe. Es musste aber sein, galt es doch, die für Anfang Juli avisierte „Blut, Schweiß und Tränen-Tour“ zu vervollkommnen. Naja, zumindest das gelang gestern gut. Die Strecke steht nun und kann ohne viel Karte gucken abgeradelt werden. Freut Euch schon mal.

Potzlow (das Nest war schon mal unrühmlich in der Presse, doch welcher brandenburgische Ort war das nicht?), Pinnow, Buchholz, Beetz und dann endlich Boitzenburg. Hier wurde der örtliche Schleckermarkt überfallen. Frisch gestärkt – sagte ich „gestärkt“? – ging es weiter. Warthe, Düstermöll, am Küstrinsee vorbei, wurde auch endlich Neuhaus Mückenfang erreicht. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es mit der erhofften Badepause am Kastavensee wohl nichts mehr werden würde, wollte ich den Zug 15:14 in Fürstenberg erreichen wollen. Sch… ich wollte beides. Wozu sollte die Quälerei sonst gut gewesen sein? Also noch ein kräftiger Schluck aus dem Rucksack… Mist, das war der letzte und noch gut 20km bei knapp 30°C zu fahren. Weiter! 14:30 am Kastavensee aus den Sachen gesprungen und rein ins kühle und klare Nass:


Kastavensee

Gleich wieder raus und exakt 14:45 wieder aufs Rad. Noch 29 Minuten und ~10km durch sandige Heide. Schon nach wenigen Metern klebt mir die Zunge wie ein trockener Lappen im Mund umher, dass ich froh bin, aufgrund meiner Solofahrt von jeglicher zwischenmenschlicher Kommunikation entbunden zu sein. 15:08, Fürstenberg, Ortseingang, noch ca. 3km und 6 Minuten. 15:13, ich erreiche den Bahnsteig, hinter mir bremst der Zug. Geschafft!

Es war einer dieser schönen neuen Doppelstockzüge, mit einem Automaten, der an Münzgeldbesitzer gekühlte Getränke ausgibt. Nur ich hatte kein Münzgeld. Aber Durst! Starken Durst! 30,-€ in Scheinen und keine Münzen. Der „Kundenbetreuer im Nahverkehr“ kurz KIN musste helfen! Mit am Gaumen klebender Zunge versuchte ich höflich zu sein: „Bitte könnte Sie mir diesen schönen Schein eventuell gegen Münzgeld wechseln? Ich wäre im Gegenzug auch bereit, ihnen meinen Fahrausweis zu zeigen.“ – „Was?“ – „Bitte Münzen!“ – „Oh, dass tut mir leid, ausgerechnet heute habe ich nicht einen einzigen Euro mehr. Aber fragen sie doch die anderen Fahrgäste.“ Da stand ich nun mit meinem Problem. Aber ich raffte mich auf und machte mich mit meiner Frage nach Münzgeld zum Obst. Natürlich hatte keiner meiner Mitfahrgäste 5 Euro in Münzen. Ich glaube immer noch, sie weideten sich an meiner Verzweiflung. Doch auch 50 Minuten Fahrzeit gehen schließlich vorbei und am Bahnhof Gesundbrunnen gab es Trinkbares auch gegen Papiergeld. Ich war gerettet.

Jetzt waren es noch 2km zum Pedalum Mobile. Traurig zeigte ich Stefan den Riss und dieser erklärte sich sofort bereit, mit KOCMO Kontakt aufzunehmen. Dort sagte man uns: Garantie ist nach 6 Jahren keine mehr (kann ich verstehen) aber grundsätzlich ist eine Reparatur nicht ausgeschlossen. Ich solle einfach vorbei kommen. Das werde ich morgen tun und dann sehen wir weiter.

Ach übrigens, die gefühlten 22 irgendwas bewahrheiteten sich am Schluss doch noch. Ich legte die 130km mit einem glatten 22’er Schnitt zurück…

26 Kommentare

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

  • und wieder hat es einen rahmen erwischt, ich hoffe er wird bald wieder heile. alles gut 😉
    P.S. danke für das teilhaben in lesbaren buchstaben 😉

  • Na hoffentlich läßt sich da was machen. Hast du schon mal mit einer Lampe ins Sitzrohr geguckt, ob der Riß da weiter geht? Ich vermute mal, der Riß wird von der Schweißentlüftungsbohrung im Sitzrohr ausgegangen sein und sich dann nach außen durchgearbeitet haben.
    Ampel wird seine Implantate ja noch eine Weile brauchen, ansonsten hätte sich da bestimmt was adäquates frickeln lassen.

  • Der Riss ist auf alle Fälle durchgehend, da sich durch ihn das Fett, mit welchem die Sattelstütze fluffig gemacht wurde, presst.

  • Oh Gott, ich sehe Jockel schon beim SfdW mit den Essbesteck an meinem Bein rumschnippeln..übrigens schöner Bericht

  • Huch – damit hätte ich nicht gerechnet. Irgendwie gehe ich immer davon aus, dass Rahmen (außer bei …äh, naja…) immer halten. Gerade TITAN soll doch von der Dauerschwingbeständigkeit geradezu hervorragende Eigenschaften vorweisen können – ja – ich sage mal, der Rahmen war doch für die Ewigkeit gemacht! Nun, die Ewigkeit der die Ewigkeit postolierenden Systeme ist ja hinlänglich bekannt. Jockel – ein wirklich kurzweiliger Reisebericht und wirklich, herzliches Beileid! Was soll es denn jetzt werden? Bin ja schon gespannt… menis

  • @ jockel, LESENSWERT, wie kannst du nur daran zweifel haben 😉 an ampels titanbein habe ich auch shcon gedacht als ich das von dem riss gelesen habe *gG*

  • Bravo, mein Führer! Netter Spaziergang durch unser schönes Brandenburger Land. Jedoch diese paar verheerenden Worte
    “ …Ich legte die 130km mit einem glatten 22′er Schnitt zurück… “
    lassen in mir leichte Zweifel aufkommen, ob ich der Blut-Schweiß-Tränen-Runde wirklich beiwohnen solle. Die Familienplanung meiner Liebsten und meiner selbst verlangt einen gesunden, ungeschädigten und leistungsbereiten Zustand des männlichen Körpers. Bla bla blub… Ich habe riesigen Respekt vor Deiner Leistung!

  • Bei dem Link zum Örtchen Potzlow fiel mir sofort die Filmemacherin auf, Tamara Milosevic. Sie ist eine supernette Bekannte und stammt aus FFM, wir haben schon so einige Projekte (Film, Werbung, Musikvideos) zusammen gemacht. Der Film über Potzlow war aber ihr großer Durchbruch und hat ihr einige Filmpreise eingebracht.

    Zur Runde: Sehr schön!!! Das mit dem fehlenden Nass in der Kehle trainiere ich ja bewusst des öfteren. Eiserne Disziplin und Kaugummi zum befeuchten des Mundraums hilft… 😉
    dd

  • Eigentlich hatte ich ja eine Tunnelinspektionsfahrt erwartet…
    Ich gehe davon aus, daß das Tempo von „Blut, Schweiß und Tränen“ sich auch immer nach dem Zug „eins früher“ richtet.

  • Ich gehe davon aus, daß das Tempo von “Blut, Schweiß und Tränen” sich auch immer nach dem Zug “eins früher” richtet.

    Nein, dass Motto bei „Blut, Schweiß und Tränen“ lautet:

    Da hinten kommen schon die Anderen!

  • Willkommen im Klub! Nicht war Jockel, dieses Gefühl beim Anblick des Risses ist unvergesslich. Plötzliche Erhöhung des Herzschlages, einhergehend mit ordentlichen Handschweißausbruch, die weichwerdenden Kniee und die langsam aufsteigende Wut über die Arbeit und Lauferei, die jetzt daherkommt.

    Aber ein feines Tourchen hast du da abgeradelt, bevor du deinen Rahmen in die ewigen Jagdgründe verabschiedest. Aber ich drück dir die Daumen, vielleicht hilft die Notoperation.

  • Nö, ich war ganz ruhig. Das ist so wie mit alten Schuhen. Irgendwann kommt unweigerlich der Moment, wo sie in die Tonne wandern. Außerdem werde ich den Rahmen erst mal weiter fahren. Die Sunrise-Fahrt und „Blut, Schweiß und Tränen“ wird er auf alle Fälle noch erleben. Außerdem warte ich auch erst mal ab, was Kocmo dazu sagt. Am Telefon meinte er, man könne über einen Riss eine Schweißnaht legen. Na das wäre doch was, so wie ein Schmiss.

  • Falls Du den Rahmen bis zu einer möglichen Reperatur weiter benutzen willst, wäre es vielleicht sinnvoll an jedem Ende des Risses eine klitzekleine Bohrung zu setzen, um seiner Ausdehnung Einhalt zu gebieten. Bin hier aber kein Fachmann. Weiß jemand genauer, ob das eine gute Idee, bzw. totaler Stuss ist?

    Mein herzliches Beileid!

    bis denn

  • Ja, dass mit den Löchlein ist sicher nicht falsch. Macht man ja üblicherweise so. Wie gesagt, nachher fahre ich mal nach Stahnsdorf und dann sehen wir weiter.

  • Also ich komme gerade von Kocmo wieder. Grundsätzlich kein Problem, Schweißnaht drüber und gut. Irgendwann im Juli/August geht der Rahmen zurück in seine Heimat und dort wird dann besagte Naht drübergefrickelt. Bei der Gelegenheit wird evtl. auch noch eine Scheibenbremsaufnahme drangenestelt. Ich will ja schließlcih alle Optionen haben.

  • ein großartiger tourbericht, jockel. schön wieder so etwas von dir zu lesen! was die blut, schweiß und tränentour angeht: ich bekomme angst!

    zu dem riss im rahmen: bei macgyver hab ichfrüher mal was gesehen, was sich evtl lohnen würde nachzumachen: schokolade in den riss schmieren und kaugummi (gut durchgekaut) draufkleben. durch die reibungswärme an der schwachstelle beim fahren verflüssigt sich, sodass sich schkokolade, kautschuk und spucke mit dem titan verbinden. bei abkühlung härtet dann alles aus und gut! du könntest es aber auch einfach mit heißkleber versuchen…

    rob

  • Leise möchte ich bemerken, dass „zurück in die Heimat“ soviel wie „zurück in ungesicherte, mafiöse Strukturen von schon ehemals unfähigen Handwerken“ heissen muß. Du kannst froh sein, wenn sich die Scheibenbremsenaufnahme nicht am Oberrohr befindet, aber da ließe sich dann ein prima Kartenhalter montieren. Bin gespannt… menis

  • Liebe Freunde,
    nach etwas Recherche habe ich einen Titanschweißer hier in der Heimat aufgetan und ihm den Rahmen heute morgen vor die Tür gestellt. Heute 18:00 kann ich ihn geschweißt und mit Garantie wieder abholen. Über das Wie, Was, Woher und Warum, werde ich zu gegebener Zeit berichten.

  • Mir fällt ein Stein vom Herzen! Freue mich für dieses Urgestein der frühen ESK-Geschichte. Also weiter im Text mit dem Russenstahl… menis

  • es wäre ein nicht zu verschmerzender verlust gewesen wenn der kaderkosmonaut nicht mehr unter uns weilen würde. glückwünsche an den genesenen.

Archiv

Archive

Folgt uns auf