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Neuordnung der Weltherrschaft: ESK nimmt Nordwestmecklenburg

Viele Mächte rund um das Baltikum hegen Ansprüche auf diesen schwarzen Fleck in allen Landkarten. Die Dänen, ein recht einfältiges Volk, dennoch aber nicht ganz unbefleckt im Kampf um kostbare Territorien im Ostseeraum, stießen sich seit Jahrhunderten die Zähne an der Wismarer Stadtmauer aus. Selbst schwedische Stämme, für uns preußisch-Zivilisierte nur wilde Barbaren mit blonden Bärten, wurden nach kurzer Amtszeit in Wismar wieder von den Mecklenburgern vertrieben. Ein Signal also, die Werte des ESK in das reaktionäre Dasein derer zu Wismar zu bringen.

Ein Auftrag muß ausgeführt werden, und so steche ich am Sonnabend gegen 0800 in Oranienburg gen Nordwest. Auf meinen Schultern leuchten die Farben des ESK, und weithin hörbar grollt das Donnern meiner zerstörerischen Kampfmaschine. Die Landbevölkerung springt auseinander und schreit: „Sehet da, der weiße Teufel im schwarzen Gewand!“

Bereits nach wenigen Kilometern quere ich das Spargelparadies von Sommerfeld und Beetz und kann mich nur zu schwer von einer einladenden Mahlzeit der weißen Stangenfrüchte abhalten. Eine wahrliche Leere herrscht an diesem Morgen auf den hiesigen Alleen, daß selbst Has‘ und Igel ein Sonnenbad auf der B167 nehmen können. Herzberg ist schnell durchfahren. Spätestens hier fällt dem aufmerksamen Beobachter auf, daß der Deutsche allmählich auf den Geschmack des Kreisverkehrs gekommen ist. Beinahe jede Kreuzung, die ich von meinen unzähligen Expeditionen ins Alleenreich Brandenburgs kannte, ist inzwischen durch solch ein trendiges Rondell ersetzt worden. Beim Befahren kommt sogar ein wenig Giro-Feeling auf. Unter dem Jubel tausender urlaubenden Senioren fahre ich in Lindow ein, wo bereits reges Markttreiben herrscht. Der kleine Ort ist voll von irrenden Lebensabendlern, die nicht so recht wissen, wie und wo sie ihre Motorsänfte abstellen sollen. Ich schlängle mich durch die Blechlawine hindurch und denke nur: „Schnitt hochhalten!“

Kurz vor Rheinsberg bekomme ich einen Anruf von der ESK-Wetterwarte in Berlin-Hohenschönhausen. OnkelW warnt mich ob eines bevorstehenden Orkantiefs über dem norwestlichen Brandenburg. Mein Blick zum Himmel läßt auch leichte Zweifel an der sonnigen Überfahrt nach Mecklenburg aufkommen, doch ich strebe mutigen Gedankens weiter. In Rheinsberg schließlich ergießt sich das angekündigte kühle Naß, und ich kann mich gerade noch in eine bereitgestellte Bushaltestelle retten. Toll, beim Blick auf den morgendlichen Wetterbericht hatte man mir trockenes und mildes Wetter versprochen. Und nun scheinen die Temperaturen ins Bodenlose zu sinken.

Da sitzt er nun, der Acke, sommerlich bekleidet mit kurzem Trikot und kurzem Höschen, keine Jacke oder Weste dabei. Und das Thermometer an der Apotheke zeigt 14 Grad. Nach ca. 15 min hört der Regen auf, doch die Straßen schäumen unter den Rädern der vorbeifahrenden Autos. Ich beschließe weiterzufahren, bin allerdings nach ein paar Metern vällig naß. Kurz vor Linow wird die Straße wieder etwas trockener, doch der Himmel vor mir verspricht nichts Gutes. Landschaftlich prachtvoll erschließt sich hier die Gegend, und ich durchfahre mit heimatlichem Stolz die weiteren Ortschaften Flecken-Zechlin und Schweinrich, wo ich früher viele Sommertage meiner Kindheit verbracht habe. Auf den letzten Kilometern vor Wittstock erwischt mich dann der Druckregen auf freiem Feld. In Sekundenbruchteilen scheint die gesamte Wassermenge von 17 Freiluft-Delphinarien auf mich herabzustürzen, und ich stoße unregelmäßige Wutschreie aus. Nirgends ist ein Baum oder ein Busch zu entdecken, nur riesige Felderflächen und meine schnurgerade Straße. Mein Vorderpneu schneidet sich wie ein Eisbrecher durch die Wasserstraße, und ich trete weiter und rede mir ein, daß es bald wieder aufhört. Halb blind fliege ich durch Wittstock, nehme größtenteils die Umgehungstraße und halte auf den Windmühlenwald an der Autobahn zu. Nur sind von den Generatoren nur die Stiele zu sehen, die Rotoren hat die Gischt in sich verschlungen. In Wernikow kann ich eine steinerne Bushaltestelle ausmachen und flüchte mich hinein. Es regnet weiterhin wie aus Kübeln. Mir ist nach wenigen Minuten so kalt, daß ich permanent den Innendruck meines Harnapparates regulieren muß. Übrigens zittere ich wie Esbenlaub, aus meinen Schuhen tritt bei jeder Bewegung schaumiges Wasser, und das Leder der ESK-Hose klebt an meinen Pobacken wie ein toter Fisch.

(Ich gebe jetzt etwas zu, daß mir unter anderen Umständen peinlich gewesen wäre:
Mit klammen Fingern nestele ich meinen Fernsprecher aus der durchtränkten Trikottasche und rufe meine Liebste an, die derzeit mit Mutter und Freundin in Schwerin weilt, daß sie mir eine Zugverbindung – egal wohin – heraussucht. Ich höre immer nur „… hier fährt nichts … Du mußt erst dorthin … 2 Stunden warten …“. Ich glaube, ich war noch so verzweifelt.)

Mir ist inzwischen so kalt, daß ich es vorziehe, einfach weiterzufahren. Es ist so bitter mit dem Gedanken, daß vielleicht gerade mal die Hälfte der Strecke geschafft ist. Ich fühle mich jedenfalls psychisch am Ende, bin nicht mehr motiviert, erfreue mich nicht mehr des dynamischen Pedalierens. Für mich dient das Fahren nur noch der Erzeugung von Körperwärme. Irgendwann, ich habe Meyenburg bereits durchquert, spüre ich, daß der Regen aufgehört hat. Und in der Tat kann ich am Horizont leicht hellgraue Flecken sehen, die sich wie Gold aus der Einheitsbrühe abheben. Der Westwind, der mich die ganze Zeit wie eine fiese Zecke begleitet und in meinem forschen Vorwärtsdrang gehindert hat, wird jetzt immer stärker. Ich bekomme also einen weiteren Grund zum Fluchen, bin ihm aber teilweise dankbar, da er auch der Trocknung der gefluteten Straßen zugute kommt.

Die Brandenburgisch-Mecklenburgische Grenze ist erreicht und ich passiere die Zollstation Neu-Redlin. Da ESK mit Diplomatenstatus reist, kann ich ungehindert passieren und befahre flugs die ersten Meter auf Mecklenburgischem Grund. Zu meiner Freude kann ich sehen, daß Teile des Mecklenburgischen Wappens bereits gemäß „Kader-identity“ angepaßt wurden. Man versicherte mir, daß in einem zweiten Entwurf der Rinderkopf gegen das Eisenschwein ausgetauscht wird. Wir können also auch in dieser Hinsicht guter Dinge sein.

Mecklenburger Wappen a la ESK

Im weiteren Verlauf der Strecke erreiche ich eine Ansammlung spärlicher Behausungen, wo gerade zwei zerstrittene Horden eines Mecklenburgischen Eingeborenenstammes einen Zwist auszutragen schienen. Ich beschließe kurzerhand, daß jetzt endlich Schluß mit derlei Kinderkacke sei und man sich endlich wieder vertragen solle. Beide Parteien fielen sich befreit von ihrem Übel in die Arme und zogen gemeinsam heftige Züge aus der von mir spontan geschnitzten Friedenspfeife. Ich selbst ernannte mich schließlich zum Stadthalter des von mir gegründeten Groß Pankow.

Der Stadthalter von Groß Pankow

Parchim ist schnell erreicht, und es sind nach meiner Rechnung jetzt noch ungefähr 80 Km. Ich lasse den Ort links liegen, strebe weiter nordwärts und passiere Mestlin und Hohen Pritz. Dann rolle ich in Sternberg ein. Dieser Ort bietet dem Betrachter wirklich alles, was man in Mecklenburg nicht erwartet: Ein ungewöhnlich gepflegtes, sauberes, modernisiertes Straßenbild, herrlich hergerichtete Hausfassaden, überall flanierende Leute in sommerlichen Gewändern und viele Straßencafés mit regem Besucherandrang. Ein idealer Ort, um auf der Durchreise eine Rast einzulegen. In einem gemütlichen Gartenlokal nahm ich nach knapp 190 Km die erste richtig bequeme Rast des Tages und labte mich an Bratwurst, Kaffe, Cola und einem Stück Kuchen. Im weiteren Verlauf meines Päuschens mußte ich eine Gruppe Ortsansässiger vor dem Herzinfarkt bewahren, da sie voller Schrecken die Luft anhielten, als sie von meinem Start- und Zielort erfuhren. Bevor halb Sternberg von diesem „Außerirdischen aus Berlin“ erfuhr, entschloß ich mich weiterzudüsen.

Der Landstrich zwischen SternBERG (!) und Wismar gestaltet sich für den gemeinen Brandenburger Flachlandradler als sehr beschwerlich. Ein hügeliges bis leicht bergiges Terrain mit seinen geraden Rampen läßt ein wenig an meine Frühlingstage in den Belgischen Ardennen erinnern. Die Rampen sind alle ca. 400-500 m lang und werden zum Ende hin immer steiler. Das Ganze setzt sich über mehr als 40 Km fort, ohne eine einzige flache Passage zum Ausruhen. So kurz vor Schluß kann man sehr gut nochmals alle eine Kräfte mobilisieren, und es kommt sogar ein klein wenig Rennatmosphäre auf, da ich jeden Stich im Wiegetritt hochdrücke, bevor es in Aerohaltung wieder hinab geht. Es bereitet mir jedenfalls einen Heidenspaß.

Irgendwann kann ich hinter der letzten Welle die riesige Werft von Wismar ausmachen und rolle die letzten Km leicht bergab in die Hansestadt an der Ostsee. Nach kurzem Verfahrer zum Seehafen – ich mußte eigentlich zum Stadthafen – empfing mich meine Liebste mit einer fürstlichen Mahlzeit in einer der schönsten Unterkünfte direkt am alten Hafen in Wismar. Trotz aller Unannehmlichkeiten wie Wind, Regen und unfreiwilliger Bushaltestellenstops konnte ich die knapp 240 Km mit einem ganz passablen 31er Schnitt wegdrücken, was ich abends im Bett dann allerdings auch gut spüren konnte.

Die nächste Fahrt ans Baltische folgt bestimmt…

7 Kommentare

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  • Danke Schwan,

    ich weiß zwar das Du es anders gemeint hast, aber selten vielen mir mehr Metaphern ein, als beim lesen Deiner Zeilen… Ich lieg am Boden vor lachen, dankedankedanke!!!
    dd

    Bushaltestelle, Telefon, abholen lassen, kalt, nasser Arsch, rummemmen, war doch ne schöne Tour, ein wenig naß – ein wenig kalt, fast so wie immer, oder? 😉

  • Wirklich wieder eine außergewöhliche Leistung vom weißen Ritter im schwarzen Gewand!

    Beim Lesen spürt man die qualen der 240km überhaupt nicht. Wirklich schön geschrieben und tolle Fotos 😉

  • was ich abends im Bett dann allerdings auch gut spüren konnte.

    Hä? Ging nichts mehr. Na ob Du unter diesen Voraussetzungen noch mal solche Distanzen fahren darfst, kann bezweifelt werden.
    Ansonsten eine sehr dramatische – aber zuweilen auch schöne – Schilderung der Leiden des jungen A. Danke.

  • Dieser Bericht ist eine glatte „1“, da er in humorvoller Art und Weise der charakterlichen Beschreibung des Autors sehr dienlich ist. Auf der einen Seite haben wir da den weißen Schwan: Etwas sensibel, besorgt um Stil und Gefieder, gelegentlich ins weibischweiche tendierend. Auf der anderen Seite haben wir den Henker: Erbarmungslos, seinen Zielen verschworen, hart im Nehmen und ein recht zäher und harter Knochen! Eben dieser Kontrast macht doch unseren Acke erst zu dem was er ist!

    Hinzu kommt, dass dieser Bericht nicht nur die körperlichen und seelischen Qualen plastisch wiedergibt, nein, auch die besonderen Reize der Radwanderung, die euphorische Freude über die eigene Leistung, sowie das Hardern mit sich, seinem Ziel und den Widrigkeiten findet hier eine angemessene Darstellung. Sehr schön, Herr Acke, sehr, sehr schön! Vielen Dank… menis

  • Kurzer Nachtrag:
    Die beim letzten N.Ride von mir angesprochenen Sorgen bezüglich der rot bekreuzten Straße zwischen Flecken-Zechlin und Schweinrich (ungefähr bei Km 80) kann ich entkräften. Es handelt sich dabei um einen Sandweg durch ein militärisches Übungsgelände, um das glücklicherweise eine Straße herumgebaut worden ist, also befahrbar.

    Wahrlich machte ich mir um die Distanz die wenigsten Sorgen. Vielmehr bekam ich hunderte von Pickeln ob meiner weißen Söckchen, die schutzlos dem Spritzwasser der „Seewege“ ausgeliefert waren. Auch schlug sich ein zartgrauer Schleier aus Dreckwasser, Gummi- und Asphaltabrieb, Sand und Teerspritzern auf dem perlmuttglänzenden Lack meiner spanischen Prinzessin nieder, daß ich während der gesamten Fahrt damit beschäftigt war, mit 12 Familienpackungen Microfasertüchern für den optischen Urzustand des Gerätes zu sorgen.

    Mit Rücksichtnahme auf etwaige Kollisionen mit Jockels geplanten Großereignissen „Fahrt durch die Mittsommernacht“ und „150 Km Todesmarsch“ peile ich als nächste Kaffeefahrt einen Besuch der Insel Usedom an, die die Mitreisenden unter anderem auch durch die schöne Feldberger Seenlandschaft führen wird.

  • …peile ich als nächste Kaffeefahrt einen Besuch der Insel Usedom an

    Na da bin ick do bei! Allerdings weigere ich mich, meine Schutzbleche abzubauen, dass musst Du schon aushalten.

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