Einsichten in der Uckermark

Tag 2, Continuazione:

Morgens, gegen 08:00 schleiche ich in den Frühstücksraum des Hotels und sammle allerlei Dinge auf meinem Teller, von denen ich glaube, sie könnten mir die notwendige Kraft für den Tag geben. Und Kraft, dass hatte das am Vorabend durchgeführte Kartenstudium ergeben, würde ich brauchen können.
Nach dem Frühstück musste aber erst mal eine andere Unterkunft besorgt werden. Mein Hotel war ausgebucht und es schien erst so, als ob das auch auf alle anderen Beherbergungsstätten in Feldberg zutreffen sollte. Doch plötzlich ein Schild vor einem seelenlosen, festungsartig aufragenden Hotelneubau: „Zimmer frei“. Also rein und die Butze klar gemacht.

Bereits wenige Minuten später saß ich auf und rollte fröhlich pfeifend in Richtung des Rosenberges aus dem Städtchen. Von hier oben hat man einen herrlichen Blick über den tiefer liegenden Ort, mit welchem ich mich aber nicht länger aufhielt. Auf einem Waldweg, welcher vor dem seinerzeitigen Chausseebau als Poststraße die Verbindung in die weite Welt herstellte, ging es zunächst in Richtung Weitendorf. Vor Erreichen dieses Dörfchens wurde aber in Richtung Nordosten geschwenkt und nach kurzer Abfahrt die ersten in Richtung des Reiherberges genommen. Auch von hier wieder ein unverbaubarer Blick auf Feldberg und seinen Haussee.

Im Anschluss wurde auf schmalen Pfaden ein Stück des Westufers des Breiten Luzins befahren, wobei auch hier wieder der ein oder andere Höhenmeter genommen werden wollte. „Hä, Höhenmeter? …in Mecklenburg???“ Diese Frage stellt sich sicher dem ein oder anderen Unbedarften, welcher sich Ostdeutschlands Nordosten als von Steppenvölkern bewohnte Tundra vorstellt. Also kurz und gut, ja es gibt hier Höhenmeter. Es sind nicht die langen Anstiege der Mittel- oder Hochgebirgslandschaften, welche ihrer Erstürmung harren, sondern Nerven und Kräfte zehrende kurze An- und Abstiege, welche in ununterbrochener Folge erobert werden wollen. Und genau das brachte mich auf eine Idee, welche für den, im ersten Augenblick wohl als grammatikalische Fehlleistung zu interpretierenden , Thementitel verantwortlich ist: „Einsichten in der Uckermark“ Zwar liegt Feldberg knapp außerhalb dieser Landschaft, aber dennoch, die Einsicht lag darin, dass es an der Zeit ist, eine - zu veranstalten, welche diesen Titel zu Recht trägt. Eine Fernfahrt Kloster Chorin – Feldberg – Burg Stargard, unter dem Motto:

„BLUT, SCHWEISS; TRÄNEN – das ESK auf großer Fahrt“

Mindestens 150km, geschätzte 1.500Hm. Asphaltanteil garantiert unter 5%. Das wird der nächste Meilenstein, darauf kann sich die Leserschaft freuen. Ich bin gespannt, wer sich der Herausforderung stellt.

Überlegungen hierzu belegten meinen Kopf, während ich über Schlicht und Krumbeck weiter nach Norden fuhr. Auf einmal klatscht etwas an mein Knie und ein flüchtiger Blick nach unten, ließ ohne Zwischenschaltung des Großhirns meine rechte Hand auf das flüchtig wahrgenommene Rieseninsekt niedersausen, welchem mein, die Luft scharf durchschneidendes, Knie zum Verhängnis geworden war. Irgendwas wurde getroffen und fiel zu Boden. Ich konnte gerade noch die Farbe und die ungefähre Größe wahrnehmen: Gelborange, ca. 5cm lang. Mist, ich hatte wohl aus Versehen eine Hornisse totgeschlagen. Ein Griff in die Bremsen und zu Fuß zurück in der Spur, die ich gekommen war. Tatsächlich, da lag sie im Todeskampf und sah mich mit ihren Facettenaugen vorwurfsvoll an. Richtig, man sollte immer erst mal hinsehen, bevor man schweres Geschütz auffährt. Naja, ein Foto wurde noch gemacht, eines von den akribischen Makros, für welche Rennfahrer niemals Zeit haben. Es wurde auch nur eins, da ich Trottel mal wieder vergessen hatte die Akkus zu laden.

Nach diesem Erlebnis ging es weiter auf Burg Stargard und der gleichnamigen Burg zu. Kurz vor Rehberg traf ich auf das, was mir das Rad fahren in MeckPomm so ziemlich verleidet: Asphalt. Langweiliger, die Eigenart der Landschaft tötender Asphalt. Was die Mecklenburger in den 15 Jahren nach Groß Deutschland in die Landschaft gekippt haben, geht auf keine Kuhhaut. Ich frage mich immer, was die Entscheidungsträger reitet? Ist es der Chef der örtlichen Straßenbaufirma, welcher droht, seine 5 polnischen Hilfsarbeiter entlassen zu müssen, wenn diese keine schwarze Pampe mehr in der Feldmark verteilen können. Sind es die von findigen, nicht Rad fahrenden, Tourismusmanagern avisierten Fahrradtouristenscharen, welche ohne geteerte Wege ihre Börsen geschlossen halten? Oder ist es gar der Lohnunternehmer, welcher ohne Teer nicht mit seinem niegelnagelneuen „UltraBrutal 10.500 GTX“ Mähdrescher mit 12m Schneidwerk auf das Feld der Kolchose kommt? Egal wer es ist, ich finde diese Entwicklung scheiße, es nimmt der jeweiligen Landschaft ganz eindeutig ihren Charakter und ich glaube auch, den Charakter desjenigen, welcher auf ihm antriebsarm dahinrollt.
Dankbar nahm ich zur Kenntnis, das es sich bereits nach rund 6 Kilometern, kurz vor Loitz ausgeasphaltet hatte und nunmehr wieder die typische Sand/ Kiesmischung unter meinen Reifen knirschte.
So rollte ich – nun wieder zufrieden – über Gramelow, Cammin und Riepke dahin und erklomm nun endlich den Höhenzug, auf dessen nördlichem Sporn sich die einzige erhaltene Höhenburg Norddeutschlands erhebt. Die Burg Stargard. Erfreut nahm ich zur Kenntnis, dass von Massentourismus keine Rede sein konnte und kletterte nachdem ich einen kleinen Obolus entrichtet hatte, mutterseelenallein auf den Burgturm, von welchem sich eine wunderbare Landschaft offenbarte.

Nachdem ich in der Burgkneipe meine Brennstoffvorräte ergänzt hatte, machte ich mich wieder auf den Rückweg. Es galt auf einer Südwestschleife die Bergwelt um Serrahn zu erforschen. Durch herrliche Wälder und über so manchen Berg ging es dahin. In Serrahn wollte ich endlich herausfinden, ob ein in allen mir vorliegenden Karten verzeichneter Weg existierte, oder ob es sich hier nur eine Finte handelt, welche ahnungslose Reisende ins Verderben führt. Gleich am Anfang ein Schild, welches mir mitteilt, das ich mich fortan in der Kernzone des Müritz-Nationalparkes befinde und jegliches Eindringen bei Strafe verboten ist. In mir siegt der Forscherdrang, ist doch hinter dem Schild und dem Schlagbaum ganz klar ein Weg zu erkennen, in welchem offenbar erst vor kurzem ein Mittelspannungskabel eingewühlt worden ist. Vorsichtig rollte ich hinein und überstieg so manchen umgestürzten Baum. Der Weg führte entließ mich an seinem anderen Ende nicht an dem, auf den Karten genannten Weg, sondern führte mich geradewegs ins Mittelalter. Mitten im Wald ein uralter, vom Wetter der letzten Jahrhunderte gebeugter Waldbauernhof. Ein ebenso uraltes Mütterchen wirtschaftet vor sich in und füttert wohl Enten oder anderes Geflügel. Kaum 30m weiter äst friedlich eine Herde Dammwild und türmt erst, als ich heranrausche. Das Mütterchen hat sie offensichtlich nicht gestört. So muss Baba-Jagas Häuschen in Wirklichkeit ausgesehene haben. Faszinierend…

Endlich gelange ich wieder an eine mir bekannte Stelle und kurve über Goldenbaum in Richtung Steinmühle weiter. An der Steinmühle ein weitere Überraschung. Das Wasser des Grünower Sees ist tatsächlich grün. Nicht schmutzig, entengrützegrün, sondern eher smaragd. Das kommt bei meinem Hirn aber nur noch im Unterbewusstsein an, hat sich doch inzwischen die Erkenntnis breit gemacht, dass ich einen ziemlichen Hunger habe und ich überhaupt so ziemlich auf der letzten Rille laufe. Die anschließende Steigung rolle ich in Zeitlupe rauf und kann nur froh sein, dass mich der erste, mir entgegenkommende Geländeradfahrer, den ich seit zwei Tagen zu sehen bekomme nicht volley nimmt. Glück gehabt.

Nachdem ich meine letzten, ekligen Riegel in meinem Magen verstaut habe, rolle ich über Grünow, Koldenhof und durch die Heiligen Halle wieder nach Feldberg und überlege, wie das morgen erst werden soll.

Zusammenfassung 2. Tag:
Strecke ~100km bei ~1000Hm

Feldberg – Weitendorf – Reiherberg – Schlicht – Krumbeck – Rehberg – Ballin – Gramzow – Cammin – Riepke – Burg Stargard – Holldorf – Ballwitz – Usadel – Rodenskrug – Wilhelminenhof – Zinnow – Serrahn – Goldenbaum – Steinmühle – Grünow – Koldenhof – Feldberg
Die gennanten Orte wurden teilweise nur tangiert, sind aber der besseren Nachvollziehbarkeit mit erwähnt.

Wie ging es weiter? Lest weiter auf Seite 3:

9 Kommentare

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  • Hallo Jockel, wieder mal ein bericht alter Schule. Fehlt nur noch das Overlay, das dereinst stets Bestandteil Deiner Rapporte war. Mir hat es derweil die Flasche angetan. leider war im Netz nicht so viel zu finden. Das Wenige will ich mit Dir teilen: www.klausehm.de/Pag9683.html

  • Danke onkel, Du Großmeister der Recherche. Ich werde wohl noch einige Links in meinen Beitrag einfügen, schließlich geht es dem ESK stets auch um Aufklärung.
    Das Overlay ist schon erstellt und kommt mit dem dritten Kapitel.

  • Danke Jockel,

    die Tour macht Laune auch mal wieder entschlossen neue Ziele anzugehen. Mein Auftritt in der Tschechei war unterirdisch, begebe mich jetzt erst mal ins Aufbautraining. Bin sehr gespannt auf den dritten Tag Deiner Reise!

  • Gott, was warst Du fleißig, Joschka! Die Idee mit den links fand ich sehr charmant und Deine Fotos waren großartig. Nachgerade anrührend die Stelle mit „dem letzten Flug der JaSta Wespe“.

  • jockel, angesichts deiner vielen, hoechst lesbaren zeilen ueber einsichten und aussichten in und auf die uckermark und angrenzende gebiete, bin ich schon laengst nicht mehr traurig, dass du nicht mit nach thueringen gekommen bist. ich denke, in den uckermaerkischen gefilden hast du auch eher deinen frieden gefunden. dies lassen jedoch deine niederschriften vermuten. danke fuer die ausfuerlichen, gedankenfluchtverhelfenden worte ueber deine drei tage. wirklich sehr schoene erzaehlungen und tolle inspirationen fuer zukuenfltiche grossereignisse des es-kaderradsports.
    wie war der pina colada?

    rob

  • jockel,
    ein wahrer Charakter mit eremitischer Größe. Warum in die allzu weite Ferne schweifen, wenn Zuckersand auch um B/B herum zu finden ist.
    Sehr schöner Bericht über Deine Klausurtage…
    D.

  • Gibt es eigentlich eine Beschwerdestelle, um dem Zuasphaltieren von Wegen auch mal entgegen zu wirken?

    Nein. Ausgerechnet der ADFC (diese Arschgeigen) redet dem Asphalt das Wort. Wenn man sich die übliche Klientel dieses Haufens ansieht, wird auch klar warum. Hier gibt es zum Thema eine schöne Stellungsnahme: adfc.de/32_1. Wer sollte da noch dagegen sein?
    In Berlin/Brandenburg steht tatsächlich dieser grüne Misthaufen hinter vielen Asphaltprojekten. Aus diesem Grund war ich in Gedanken schon öfter dabei, die Filiale in der Brunnestraße anzuzünden 😉

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