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Ein Besuch in der Buchhandlung

von Jockel

In Vorbereitung des diesjährigen Harz-IV Sturmes, welcher interessanterweise garnicht im Harz stattfindet, begab ich mich vor einigen Tagen in die auf Kartenwerke jeglicher Art spezialisierte Buchhandlung Atlantis in der Berliner Karl-Marx-Allee. Das Gesuchte (eine Karte des südlichen Harzvorlandes, einschließlich der Kyffhäuserecke) war schnell gefunden, da stach mir ein kleines, in die Jahre gekommenes Büchlein ins Auge, welches sich bei näherer Betrachtung als ein antiquarischer „Taschenatlas von Berlin und weiterer Umgebung“ – Ausgabe 1919 – entpuppte.

Trotz des unvernünftigen Preises, welcher auch durch einiges Gefeilsche, nicht auf einen wirklich günstigen Wert gebracht werden konnte, wurde dieser ohne Umschweife meiner bescheidenen Sammlung historischer Karten hinzugefügt.
Nachdem er sich hier gut eingelegen hatte, nahm ich ihn gestern zur Hand, um ein paar Soll-Ist Vergleiche anzustellen und gleich am Anfang wurde ich beim Einleitungstext fündig, welchen ich hier – gekürzt – wiedergeben möchte:

„Märkische Landschaft.
eine Skizze von Wolfgang Kirchbach.

Durch Theodor Fontanes Sittenschilderung ist die Mark Brandenburg, die früher im Rufe größter Reizlosigkeit und Unfruchtbarkeit stand, vielen Deutschen näher gerückt. Man weiß allmählich, dass die Bezeichnung als „Streusandbüchse“ des heiligen Römischen Reiches deutscher Nation ein Spottname ist, der nur von flüchtiger Betrachtung herrührt. Solche irrige Urteile erzeugt tagtäglich auch noch heute, die Eisenbahnfahrt nach Berlin. Wer von Süden her, nachdem die große kiefernbewachsene Sanddüne des Flämings durchquert ist, der deutschen Reichshauptstadt sich nähert, glaubt durch eine große flache Ebene zu fahren, die nur zur Zeit des Saatenstandes die Mannigfaltigkeit wogender Ährenfelder und duftender Lupinenäcker aufweist, von weiten Kiefernwaldungen bestanden ist und ab und zu einmal einen flachen See zwischen der dürftigen Waldung zeigt. Diese Vorstellung aus der Beobachterhöhe des Eisenbahndammes prägt sich tausenden von Fremden ein, die nach Berlin kommen, und es gibt viele Berliner, die selbst auch keine andere Vorstellung von der Umgebung ihres Wohnsitzes haben.
Aber dieser Eindruck hat mit der Wirklichkeit, man kann es ruhig sagen, nicht zu tun. Diese scheinbare Ebene ist gar nicht so ideal eben, sondern die Augenhöhe des Beobachters auf der Eisenbahn nivelliert lediglich, – weil man weder eine entsprechende Aussicht hat, noch sonst rechte Vergleichspunkte gewinnt, – alle Eindrücke auf die Vorstellung der absoluten Ebene.
Und auch der Fußwanderer, der von Berlin aus nach Süden pilgert, unterliegt dieser Vorstellung. Er glaubt lange Zeit auf einer großen, flachen Ebene hinzuwandern, die schier unabsehbar sich vor ihm ausbreitet. Unwillkürlich überkommt ihn die Vorstellung trostloser Eintönigkeit, besonders wenn trüber grauer Himmel herrscht und die weiten Felder sich endlos hinzuziehen scheinen….“

Hier dachte ich bereits: „Na los, sag´s schon!“ Und tatsächlich, wenige Sätze weiter:

„…Eine richtige Vorstellung des Landes gewinnt aber erst der Radfahrer. Dieser wird sehr bald inne, dass Fußgänger und Eisenbahnfahrer eigentlich dauernd einer Sinnestäuschung unterliegen. Er bemerkt, dass er mit seinem Rade mehrere Kilometer beständig sich bergaufwärts bewegt und kurze Strecken so steil sind, dass er nur mit Mühe vorwärts kommt und fast zum Absitzen genötigt wird. Er fährt dann ein Weilchen über eine waldige oder kornbewachsene Plattform, um wieder einige Kilometer abwärts zu rollen, in Landrunsen (so nannte man damals wohl die allbekannten Sandlöcher) zu geraten, in weitere und engere Mulden mit lachenden Seen, umschlossen von alten Eichenbeständen, und umrandet von Erlenreihen. Er besteigt die Mühlenhügel und Höhen der einzelnen Platten und sieht nun allmählich, dass dieses Land nicht eine öde Sandebene, sondern ein ganzes, mannigfaltiges System von schräg gelagerten Platten ist, die durch eine zauberhafte Macht in gewissen Hauptrichtungen hingeschoben scheinen, aber in reizvollster Art durch Mulden, Dünenhügel und Abhänge getrennt sind. Was dem Eisenbahnbeobachter nur eine Ebene erschien, ist in Wahrheit der Blick auf die hintereinander gereihten Platten, die sich in der Ferne zu einer ebenen Fläche zusammenschieben.“

Ich fand diesen Text interessant und wollte Euch auch nicht schon wieder mit nichtssagenden Tourberichten langweilen. Abschreiben strengt auch weniger an als selber Ausdenken und außerdem ist Kultur immer gut, den wie sagte schon Heine: „…Bildung bleibt!“
Wolfgang Kirchbach gehörte dem sogenannten „Friedrichshagener Dichterkreis“ an, zu welchem beispielsweise Größen wie Else Lasker Schüler, August Strindberg, Rainer Maria Rilke oder Erich Mühsam gehörten.

Ganz nebenbei ergaben die Recherchen im besagten Taschenatlas, dass eines der „Geheimnisse“ im Zusammenhang mit dem Potsdamer Katharinenholz gelöst werden konnten. Handelt es sich doch bei Hustens „Artillerieschießständen“ – wie von mir bereits vermutet – um profanen Schießstände für gewöhnliche Infanteriewaffen. Also alles, was das gemeine Kanonenfutter so mit sich führt. Artillerie, lieber Husten, macht eigentlich schon keine Löcher mehr. Und gemauerte Kugelfänge sollte man – wenn man sie noch benötigt – besser auch nicht mit auf Lafetten befestigten Waffen bearbeiten.

9 Kommentare

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  • Sehr feines Werk hast Du da ausgegraben, muß auch mal zu mir in die Uni und alte Kartenwerke ausgraben.

    Bei dem Wort Landrunsen kann der kant. Dipl.-Geogr. eventuell weiterhelfen, laut [DIERCKE – Wörterbuch Allgemeine Geographie – 12. Aufl. (2001): 1037 S.; München (DTV)] steht das Wort Runse für folgendes:
    RUNSE: kleine, kurze, steilwandige talflächenartige Rinne, überwiegend mit Kerbprofil, die im Hochgebirge durch intensive Fluvialerosion von fließendem bis schießendem Wasser gebildet wurde. Die Runsen fungieren im Hochgebirge auch als Lawinengassen. Sie entsprechen als Form den Calanchi (Wildbach).

    In [Zepp, H. (2003): Geomorphologie.- 2. Auflage: 354 S.; Paderborn (UTB).] finden wir dann folgendes:
    Der Längendurchmesser von Reliefformen variiert vom Milimeterbereich bis zu mehreren Tausen Kilometern; so kann man von Pico-, Nano-, Mikro-, Meso-, Makro- und Megaformen sprechen. Die Vergänglichkeit einer Form und ihre Existenzdauer stehen in erster Näherung in Zusammenhang mit ihrer Größe; für die Bildung großer Formen sind längere Zeiträume erforderlich als für die Bildung von Kleinstformen. Eine 30cm tiefe Erosionsrinne in einem Ackerboden kann während eines sommerlichen Starkregens innerhalb weniger Minuten entstehen, die Bildung eines Mittelgebirgstals vollzieht sich im Rahmen einer wechselvollen, mehrere 100 000 Jahre dauernden Entwicklungsgeschichte. Eine Runse hat eine Entwicklungszeit von ca. einem bis zu zehn Jahren und eine Ausdehnung von ca. 10-20 Metern, sie ist damit eine Mikroform.

  • „Und auch der Fußwanderer….“ – An dieser Stelle war schon fast klar, dass da noch was zum Radfahrer kommen mußte. Ein wahrhaft schönes Heftchen was du da ausgegraben hast!
    Eine Karte die noch etwas südlicher (bei mir) ansiedelt ist, als der von dir gezeigte Ausschnitt ist aber wahrscheinlich nich enthalten, oder?

  • Darkdesigner, ich wußte, dass ich mich auf Dich verlassen kann. Danke für die Information. Du hast sicher recht, da der Autor der obigen Zeilen die Annäherung an Berlin von Süden her beschreibt. Der Fläming, so nennt man den an der Südseite des Baruther Urstromtales gelegenen Höhenzug, ist durchzogen von kleinen Errosionstälern, welche hierzulande „Rummeln“ genannt werden. Man vermutet, dass diese Bezeichnung vom Geräusch des schießenden Wassers abgeleitet wurde, welches bei Starkregen durch diese, sonst trockenen, Rinnen „rummelt“. Hätten sich unter den Namensgebern mehr Leute Deines Formates und Wissens befunden, würden sie wohl den schnöden wissenschaftlichen Tittel „Runsen“ tragen.

  • J-Coop, klar Kollege. Das Werk umfasst in etwa die Fläche, welche heutzutage durch die Kartenreihe Berlin und Umgebung Teile Nordost, Südost, Südwest und Nordwest abgedeckt wird. Von Lehnin und Umgebung ist sogar 1:75.000 Detailkarten vorhanden. Wenn wir mal wieder gemütlich besammensitzen, werde ich die Kladde mal mitnehmen.

    So, ich werde jetzt mal eine Runde fahren gehen, mal sehen, ab mir Landrunsen begegnen.

  • hach wie schön! auch wenn sich deine letzten tourberichte wie eine sammlung guter gründe, um auf das schmalbereifte strassengefährt umnzusteigen, liesst, kann ich deinem hübschen büchlein nicht den charme und die romantik absprechen, die plözlich mein geländefahrzeug wieder etwas in den fokus rücken.

    staubige wege, knorrige wurzeln, glänzende seen, strahlende sonne, die märkische heimat – hmmmm – der sommer kommt und mit ihm sicher wieder einige badeausflüge. gern erinnere ich mich an unseren letzten, bei dem wir diese nette dame mit unseren entblößten astralkörpern zu irritieren wussten. bis bald… menis

  • Menis schrobte: „gern erinnere ich mich an unseren letzten, bei dem wir diese nette dame mit unseren entblößten astralkörpern zu irritieren wussten.“

    Meinst Du die, bei welcher sich Dein Bruder und rikman nicht trauten, die Hosen runterzulassen oder jene, welche uns, nur leicht bekleidet, mutterseelenallein im Wald die Arme lief?

  • sehr schoen, ein weiterer schritt hin zur vervollkommnung deiner nicht minder grossen stadtplansammlung. sicher ein tolles exemplar. den heimtakundlich-geographisch wenig interessierten menschen (es soll davon welche geben) wird soetwas lediglich ein muedes schulterzuecken hervorlocken, hegt man doch etwas interesse fuer solcherlei druckwerk, kann man sich ein paar nette und bildende stunden verschaffen.
    und mir scheint es, als ob der herr kirchbach seinerseits schon tugenden des ESK verinnerlicht hat, schreibt er doch: und fast zum Absitzen genötigt wird. mit betonung auf fast!

    hey darkdesigner, du wirst kaum verwundert sein, wenn ich dir sage, dass jockel, el und ich bei einer mir unvergesslichen radtouristikfahrt von belzig (flaeming) nach berlin eben solche runsen bereit durchfahren haben. diese sind, wie von jockel oben beschrieben, dort besonders gut ausgepraegt.

    wie freue ich mich doch schon jetzt auf eine ausfahrt mit dem kader im herbst durch die goldleuchtenden, sonnendurchfluteten waelder und weiden der mark! (doch auch hier kann man sich im gelaende fortbewegen, mehr zu unserer kleinen andenueberquerung in den naechsten tagen…).

    rob

  • Mensch ich halts nicht aus! Endlich mal etwas wo die Schiessstände drauf eingezeichnet sind! Und den Begriff „Landrunsen“ muß man sich ja wohl mal genüsslich auf der Zunge zergehen lassen. Ich freue mich schon auf manigfachen Einsatz dieser wertvollen Vokabel in zukünftigen Berichten.

    Danke für den schönen Beitrag, Jörg!

    bis denn

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