Westalpen: von Bern ans Mittelmeer

Dieser Tag wartete mit der wohl größten Vorspannung auf. Kleinste italienische Alpenstraßen, von deren Existenz Googlemaps kaum weiß, und die Warnung von Wanderern auf der Berghütte, dass diese Gegend wirklich menschenverlassen sei. So machte ich mich am Morgen mit etwas Unbehangen und dem unbedingten Willen auf den Weg, im nächsten Ort nochmal einzukaufen. Doch allen Unkenrufen zum trotz war dies der schönste Radfahrtag der ganzen . Die mediterranen italienischen des Piemonts haben es mir angetan. Eine irre schöne Region. Von starker Abwanderung in den letzten Jahrzehnten geprägt und dennoch ein aufkeimendener Individualtourismus, hübsche, kleine Bergdörfer und eine unbeschreibliche Bergwelt (die lokale Einwohnerschaft spricht hier übrigens französisch).
20km talabwärts, in Sampeyre, kaufte ich diverse Leckereien in einer Bäckerei ein. Dann ging es in den ersten der zwei großen Passauffahrten des Tages. Zum Col de Sampeyre sollten es etwa 1300hm sein. Unterwegs traf ich ein paar deutsche Mountainbiker und vernichtete mit ihnen etliche . Wieder fast kein Verkehr, viel Wald, schön zu fahren. Schon oben.


Colle de Sampeyre

Vom Pass eine ewigwährende, geniale Abfahrt. So schön, ich kann es nicht beschreiben. Im Tal eine kleine Ortschaft mit stilvollem Bistro. Traumhaftes 3-Gänge-Menü-Touristico. Aber die Zeit drängt, noch wartet ein zweiter Pass. Der Colle di Morti. Wieder hatte ich die Beschreibung im Internet nicht richtig gelesen, sonst hätte ich gewusst, dass kurz vor dem Morti noch ein kleiner Pass kommt. Eben jener kleine Pass, der Colle de Esischie, war aber ausschließlich ausgeschildert, nur wusste ich das nicht. Also viel Kartenstudium (mit Maßstab 1:300.000, pah!) und Suchen und Fluchen. Die Passstraße war so klein und schmal, dass jeder kleine Nebenweg ebenso die Hauptstraße hätte sein können und immer nur der falsche Pass ausgeschildert. Na bergauf wird erstmal richtig sein. Also immer weiter. In der kleinen pitoresken Ortschaft Mamora gab es noch ein paar Touristen, auch Rennradfahrer, aber ansonsten war die Gegend so herrlich menschenleer. Kaum Autos, eine wunderschöne Straße und eine Landschaft, die einem die Worte verschlägt.
Die 1400hm dauerten fast drei Stunden. Aber ich konnte mich an den Bergen kaum sattsehen. War ich tags zuvor entnüchterd von der stumfpen Radelei in den Bergen, war ich hier hell auf begeistert. Überwältigend. Extrem schroff, hohe Reliefenergie, stark verwittert, steile Felswände, tiefe Täler.
Zunächst kam ich zum Colle de Esischie auf knapp 2400m, kurz später zum Colle di Morti auf knapp 2500m. Hier steht ein Denkmal zu Ehren von Marco Pantani. Wer herausfindet warum gerade hier, dem spendiere ich ein Bier.
Die Abfahrt von Pass war ein Traum in A+++. Sowas gibt es nicht nochmal, unbeschreiblich.
Ganz unten im Tal, in der nächstgroßen Ortschaft Demonte, eindecken für's Abendbrot im Einkaufsladen. Zudem eine Flasche Wein. Ein Dorf weiter, abseits der Straße, fand ich einen annehmbaren Pennplatz in einem alten Kastanienhain. Das dritte Mal unter freiem Himmel, aber diesmal so richtig. Ein Fuschs fünf meter vom Schlafsack weg. So viele Geräusche allen Orten drumherum. Es war eine eher unruhige Nacht. Aber schön.


Stopp zum Verkehrsschildstudium notwendig


Colle di Esischie – Auf dem Schild mit Schreibschrift steht „Attentione por el Lupio“


Pantani-Denkmal


Colle di Morti


Pennplatz am nächsten Morgen

Tag 6: Pontechianale – Demonte: ~110km / 2800hm

13 Kommentare

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  • Rob, du coole Sau! Gern wäre ich an deiner Seite gewesen, hätte Ausblicke, Abfahrten, Gewitter, Sonnenbrand und Wein mit dir geteilt! Ein tolle Tour und ein toller Bericht! Wirklich Rob, vielen Dank für die Eindrücke, die Motivation und die Inspiration! Ja, da ist er wieder – der Herr Stelzenacker, der einsame Held staubiger Landstraßen!

    Hut ab, ergebens, dein Herr Kemper

  • Jojojo, echt großen Respekt vor der Leistung und Deiner zähen Beharrlichkeit unbedingt draußen schlafen zu wollen. Bett und Dusche am Abend sind das absolute Muss für mich bei einer solchen Tour. Und bei der nächtlichen Aktion in Verona wäre ich wahrscheinlich schon nach 10 Minuten ins Hilton für 250,-€… ;-)))

  • Rob, ich bin einfach nur sprachlos! Nach 2 Tagen im Sattel und ein paar Höhenmetern ohne Gepäck ist mein Körper schon ziemlich am Ende. Grandioser Bericht, jetzt muß ich mir erstmal in Ruhe die Bilder ansehen.

  • Rob, haste fein gemacht. Falls du mal einen nicht murrenden Partner für solch ein Abenteuer brauchst und die Familie mir frei gibt bin ich zu allen Schandtaten. bereit. Bei dem Bericht verblassen natürlich unsere mini Schotterpassagen der letzten 2 Tage in Harz und Kyffhäusergebirge.

  • Wow! Ich gehöre ja auch zu denen, die abends ein Kopfkissen unter dem Haupt wünschen und fließend Warmwasser. Das erhöht meinen Respekt vor Deiner Erlebnistour. Nur nachmachen möchte ich es nicht, solange der Kreditkarte noch etwas abzupressen ist… 😉 Besten Dank für die schönen Impressionen.

  • Geiler Ritt Rob! Und Mümmeltüte war die richtige Entscheidung für die Nacht, oder?
    Wenn die Partner noch einigermaßen auf hartem Boden nächtigen können findet sich der Rest dann auch.

  • Hey Rob, absoluten Respekt. Würde mir selbst die Zeit, die Kondition und den Mut für ein solches Unterfangen wünschen. Auf die Annehmlichkeiten der modernen Welt (wie z.B. Matratzen, Kissen, Seife 🙂 …) könnte ich für ein solches Erlebnis locker verzichten. Bin selbst ab und zu der Typ für solche „Alleine-Touren“, bei denen man alle Eindrücke ungestört in sich aufsaugen kann. Manchmal (nicht immer) sind Ruhe und überwältigende Gefühle wichtiger als immer alles zu „teilen“. Deswegen ist Deine Leistung nicht weniger „wert“. Dein Bericht ist alles andere als langweilig. Ich hoffe, Du fühlst Dich großartig !!

  • Habe mir erlaubt, einige dieser für Sterbliche unerreichbaren Pässe abzuspeichern, damit ich sie, immer wenn ich mich für einen guten Radfahrer halte, als Hintergrundbild aufleuchten lassen kann. 5 Sterne!

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