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Dresden sehen und sterben …

Wer zur Adventszeit Glühwein im radsportlichen Umfeld will, fährt entweder den in mit oder macht sich auf in die sächsische Landeshauptstadt und wohnt dem legendären Glühweinrennen bei. Der Aufruf von Rob löste bei Rifli Erinnerungen aus, die 10 Jahre her sind. Und der Sachse, der dieses jeden 2. Advent wiederkehrende Ritual noch nicht kannte, reihte sich in die kleine Riege der Frühaufsteher ein, um gemeinsam den Weg von Ruhland nach Dresden zu bestreiten.

5 Uhr klingelt der Wecker – 6:44 Abfahrt ab Ostbahnhof. Alle sind pünktlich und erfreuen sich der Flatulenzen, deren Ursache die gestrigen Ernährung eines spitzbübisch grinsenden Glühweinrennneulings lagen. Die Skatkarten blieben der frühen Stunde geschuldet im Rucksack, statt dessen wurde Kartenmaterial des südlichen Brandenburgs studiert.

Als dem Morgen graute trafen wir in Ruhland ein. Der Ausgang des Bahnhofs lies uns zu dem Kommentar hinreißen: „Sieht ja aus wie in Rumänien hier!“. was mit einem Kommentar eines schon angealterten Lausitzers mit den Worten: „Na, dann müsst ihr ja nicht mehr soweit fahren!“

Nach einer kurzen Stadtführung meinerseits, wurden die vergessenen 8 liebevoll geschmierten Butterbrote des Sachsen beim Bäcker durch Brötchen ersetzt. Die Bäckersfrauen hatten trotz des grauen Tages und mittlerweile einsetzenden Regens entweder Drogen genommen oder freuten sich über den nahenden Feierabend. 3 Pfannkuchen für umme gab's obendrauf und los ging's.

Raus aus Ruhland parallel zur Bahn und dann ab in den Wald, kurze Zeit später endet der Weg und wir nehmen das Unterholz, erreichen Arndsdorf und sind wieder auf der richtigen Route Richtung Königsbrücker Heide. Die sandigen Wegen lassen die Kette knirschen und fieser Nieselregen nimmt einen die Sicht.

Hinter Jannowitz versperrt uns ein Schild den Weg mit blabla „ehemaliges Militärgelände“ blabla „Munition“ blabla „bei Strafe“ blabla „Ordnungswidrigkeit“ – Wir haben jedoch keine Zeit und lassen das Schild hinter uns. Die folgenden Wege sind immer wieder dicht mit kleinen Schneematsch behangenen Kiefern gesäumt. Die Klamotten sind im Nu durch. Rob flucht die ihm angebotenen Überschuhe nicht angezogen zu haben und erfreut sich klammer Füße. Der Schlag eines triefenden Astes mitten ins Gesicht, lässt ihn lauthals fluchen, das man Angst haben muss, der alte Munitionsschrott links und rechts des Weges könnte detonieren.

In dieser abgeschiedenen Gegend in der sich Fuchs und Hase „Gute Nacht“ sagen, erblickte der vorne fahrenden Sachsen wahrhaftig einen Wolf der unseren Weg querte. Sein breites Kreuz (vom Sachsen) versperrte mir den Blick, Rob war mit seinen kalt nassen Gedanken woanders. Die Spur im Schnee war aber eindeutig. Es kreuzte mehrfach Rotwild, so dass wir beruhigt die ausreichende Essensgrundlage des Wolfs registrierten

Ein kurzer Blick aus der Heide in den Industrievorort von Schwebnitz wieder zurück und die Heide Richtung Königsbrück, vorbei an alten Militärladerampen an nicht mehr vorhandenen Gleisen wird es langsam schwierig sich warme Gedanken zu machen. Es ist egal ob man Regenklammotten an hat oder nicht. Mit ist man von innen nass und ohne saugt sich langsam alles voll.

Der Sachse flucht über die aus Geiz nicht mitgekaufte Goretex-Membran in seinen Winterschuhen und ich über das Zusatzgewicht aus Modder und Schnee am Rad. Es wird zäh. In Königsbrück werden die Stullentüten ausgepackt und Rob zieht sich verzweifelt die Papiertüte vom Bäcker über die Handschuhe, um den drohenden Gefrierbrand an den Händen hinaus zu zögern.

Ein kurzer Ritt auf der Straße bis nach Laußnitz macht auch kein Spaß. Da hier noch mehr Wind bläst und es einem den letzten Rest Wärme aus den Knochen zieht. Ab hier geht's wieder ins Gelände und Rob versucht seine Hände hinterm Rücken zu wärmen. Freihändig im Gelände bis nach Ottendorf-Okrilla. Ein kurzer Einwand ab hier den Zug zu nehmen, wird von mir abgebügelt mit „Dresden sehen und sterben“. Ab jetzt wird nur noch von einem Glühwein am Start geträumt und dann direkte Heimfahrt ab Dresden Hauptbahnhof. Von Rennteilnahme kein Wort mehr.

Den gemeinsamen Treffpunkt Alaun Park in Dresden werden wir nicht mehr rechtzeitig erreichen. Rob lässt sich über seine sächsischen Kontakte zum direkten Startort leiten. Ab jetzt heißt es „nur noch“ Hermsdorf – Langebrück – Heidemühle – Fischhaus. Der rote Grabenweg hinter Hermsdorf ist bei Trockenheit bestimmt ein prima Trail, jetzt ist es nur zähe matschige kalte Pampe mit glitschigen Wurzeln, weiter geht es immer durch Schneematsch und langsam nachlassenden Regen.

Ab Heidemühle wird noch mal kurz gefroren beim Blick auf die Karte und dann auf der Straße Richtung Fischhaus. Und jetzt geht es bergab Richtung Dresden und oh Wunder, mit jedem Meter ins Tal der Ahnungslosen wird es wärmer, trockener und bis zur völligen Schneefreiheit. Ziemlich betröbbelt und durchnässt stehen wir am Startpunkt und wärmen uns recht schnell am ersten Glühwein. Vergessen ist die sofortige Heimreise. Die Rücksäcke fliegen in die Ecke, das Startgeld wird bezahlt und auf geht's in die Einführungsrunde.

Nach der Runde hau ich mir erst mal 2 Glühweine hinterher, damit ich halbwegs angstfrei die nächsten 9 zu fahrenden Runden überlebe. Die Dresdner haben nicht nur in ihren Outfits einen an der Waffel, nee die janze Strecke ist ein Horror für Dropmuffel und Kickerschisser. Rob ist in seinem Element und geniest beides – Runden und Wein. Beim Sachsen bin ich mir nicht sicher – der hat sich sogar für den Aufwärmglühwein ein Strich verpassen lassen. Ich beschließe 9 Glühwein zu trinken und das in 4 Runden.

Wer denkt hier wird nur aus Spaß gefahren, merkt schnell in der Boxengasse, das hier auch ambitionierte Sachsen am Start sind. Da selbst im Tal der Ahnungslosen der Trend zu Fatbikes rumgesprochen hat, wundert es einen nicht, dass ein solch hier auch noch gewinnt. Mein Fazit Glühwein macht langsam aber warm!

Nach dem der letzte Schluck Glühwein versoffen, das letzte Stück Mett gefressen, der letzte Spritzer aus dem Nutten-Flacon versprüht und die Gummipuppen zu oft benutzt wurden, geht es auf zur Altstadt. Null Ahnung in welche Richtung mit gefühlten 3 – 8 aufm Kessel fliegen wir regelrecht unkontrolliert der Stadt entgegen. Entgegen der UNESCO-Welterbe-Kommission finden wir die Waldschlösschen Brücke praktisch und an der richtigen Stelle gebaut.

Nach Pinkelpause Kartoffelsuppe und Biernachschub sitzen wir im Zug nach Cottbus, uns wird Kuchen gereicht und den Heldengeschichten gelauscht. Der nette Schaffner wird als der wiederauferstanden Jürgen Hart erkannt und sogleich wird vor Verlassen des Sachsenlandes sein Refrain von „Sing, mei Sachse sing“ textsicher daher geschmettert.

Ab Cottbus geht es Fußbodenbeheizt Richtung Berlin. Ja die ODEG leistet sich eine Fußbodenheizung. Der Gedanke an eine frierende und in nassen Klamotten sitzende Heimfahrt ist fern und völlig verblast.

So schön kann sterben sein…


(Letztes Foto geliehen von Erste Mai Brigade Dresden. Danke!)

ritzelflitzer

11 Kommentare

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  • herrlich zu lesen. heute gabs bei uns zur mittagspause auch glühwein-satt…
    nun „arbeite“ ich mal lieber „weiter“!

    msg.seb.s.
    PS: bis sa. fangt nicht zu pünktlich an.

  • Der Glühwein war -so sagte der Sachse- gestreckt. also nicht so schlimm denkt mancher, doch gestreckt wurde mit Weinbrand und Primasprit….Da bleiben dann schon mal ein paar als Wolfsfutter im Wald zurück.

  • das angesprochene foto habe ich ganz am ende des berichts eingefügt. der rennkurs war aber auch konditionell sehr herausfordernd, sodass man garnicht übermäßig viel trinken muss, um derart im wald zu stehen.

    der besuch bei den dresdnern war uns eine freude. so herrlich unkompliziert und verrückt gehts kaum woanders zu. Danke an die 1. Mai Brigade für die gute Organisation und an alle anderen Knalltüten!

    Die Tour war was für echte Eisenschweine! Was für mich am unangenehmsten war, waren die Dreckspritzer ins Gesicht Meter für Meter wegen fehlendem Schutzblech vorne. Vier Stunden lang wieder und wieder Dreck in die Fresse. Als ob man stundenlang links und rechts immer wieder eine gescheuert bekommt. Das hat mich waaaahhhhnsinnig gemacht. Immer dieser Dilettantismus: keine Schutzbleche, keine Überschuhe, die Winterschuhe zu Hause im Schrank, die Regensachen trocken im Rucksack, Essen vergessen – wie die Amateure…
    Und dann noch dieser schwere nassschneebehangene Kiefernzweig bei voller Fahrt mitten ins Gesicht. Ich hatte die Schnauze sowas von voll!

    Aber schön war’s, Jungs! :]

  • Schad, dass ich nicht dabei war!

    Wie gern hätte ich in Dresdens Wälder gereiert. Überhaupt! Mal wieder so richtig Glühwein kotzen – herrrrlich. Und die An- und Abreise klingt auch so, als ob man was verpasst hätte. Aber wirklich ein sehr schöner Bericht!! Danke…v.d.m.

  • Krasse Geschichte. Während man selbst dem Dauerregen vom heimischen Sofa aus zusah und sich in Tourenträumereien erging, gab es anderswo tatsächlich noch richtig was zu erleben. Dufter Bericht, macht Lust auf mehr, wenn Glühwein für mich nur irgendwie trinkbar wäre.
    Beste Grüße aus dem Norden

  • der anfang des beitrags erwähnte bahnhof ruhland steht derzeit zur versteigerung. mindestgebot 4000 euro. wenn jemand interesse hat. gute zuganbindung nach dresden und berlin :]

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