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Zwischen Macht und Gebärdruck

Auszug aus der Masterarbeit von Alice Schwarzbache im Studiengang Geschlechterstudien / Gender Studies, Zentrum für Transdisziplinäre Geschlechterstudien, Humboldt Universität zu .

Schwarzbache, Alice: Zwischen Macht und Gebärdruck: Frauen in Geheimgesellschaften des frühen 21. Jahrhunderts am Beispiel des Eisenschweinkaders Berlin. Bad Belzig: Verlag Eber und Ferkel, 2023.

Wie jede traditionsreiche Geheimgesellschaft in den Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte, so ist auch der Berliner durch Verschwiegenheit, Disziplin, seine über Generationen weitergegebenen Rituale und ein für Außenstehende eher mysteriöses Regelwerk gekennzeichnet. Selten nur erhält man Einblick in Machtstrukturen und Entscheidungsprozesse dieser Gesellschaften, viel seltener noch in die Rolle der Frauen innerhalb dieser Organisationen. Die in 2020 in einem privaten Nachlass entdeckten tagebuch-artigen Aufzeichnungen eines nur unter ihrem Pseudonym „Jen*“ bekannten weiblichen Mitglieds des Eisenschweinkaders Berlin (im Folgenden ) erlauben einen raren Blick in das Innere einer solchen Geheimgesellschaft aus der Perspektive einer Frau. Ziel dieser sich verschiedener qualitativer Methoden (siehe dazu Kapitel 2) bedienenden Arbeit ist es, die von Hartmut Schweinsbichl in seinem Pionierwerk „Harte Kerle mit dicken Schenkel. Identitätskonstruktionen im frühen virtuellen Raum zwischen Mythos und Fiktion“ entwickelten Thesen zur Konstruktion von Identität mittels medialer Inszenierungen weiterzuführen und auf die Konstruktion von Geschlecht zu erweitern. […]

Es kann jedoch als wissenschaftlich gesichert gelten, dass die Entscheidungsprozesse im ESK weder demokratisch legitimiert noch durch ein Minimum an Transparenz gekennzeichnet sind. Um den Jahrtausendwechsel schien ein außerhalb des Kaderkreises nur als „der Oberst“ bekannter Rädelsführer die Entscheidungen häufig an sich zu gerissen zu haben (ein belegtes Zitat von ihm lautet: „Ich bin auf jeden Fall fürs Verbieten. Egal was, Hauptsache verbieten. Und dann natürlich auch ahnden. Rigoros, zack, Rübe ab. Damit ja nichts einreisst.“). Neben der Entscheidungsmacht Einzelner liegen aber auch Hinweise auf einen sogenannten „Inner Circle“, der in den späten 1990'er Jahren einigen Einfluss ausübte, vor. Dieser „Inner Circle“, vermutlich Kader-intern als Spanner, Sponner oder Spinner bezeichnet, wurde jedoch kurz nach der Jahrtausendwende durch Meuterei entmachtet. Seitdem sind die Entscheidungsstrukturen des Kaders noch geheimniskrämerischer geworden und entziehen sich jeglicher wissenschaftlicher Einschätzung.

Wenn auch die Machtstrukturen des Eisenschweinkaders völlig unklar sind, so sind die Rituale, Wettkämpfe und das Wertegerüst dieses weit über die Berlin-Brandenburgischen Stammesgebiete bekannten Geheimbundes gut erforscht. Der Daseinszweck dieser Vereinigung lässt sich auf drei Verben reduzieren: , saufen, fressen. Er hat auch deshalb über die Grenzen der von ihm kontrollierten Gebiete hinaus Bekanntheit erreicht, weil der ESK es auf besonders intelligente Art und Weise versteht, die Bräuche der von ihm unterworfenen Barbarenvölker zu integrieren und diese mit den eigenen Traditionen zu verbinden, um daraus immer wieder neue Wettkämpfe zur Belustigung der eigenen Stammesmitglieder und der Angehörigen der Vasallenstaaten zu ersinnen. Für jeden dieser Wettkämpfe werden die über Generationen vererbten Tugenden des ESK – hart radfahren, viel saufen, mehr fressen – neu miteinander verbunden. Exemplarisch angeführt seien hier der auch nicht ESK-Mitgliedern zur Teilnahme offen stehende KlausStörtebeker-Gedächtnis-Cup (radfahren + Bier zum Abschluss + Schmalzstullen) oder der unter Ausschluss der Öffentlichkeit ausgetragene Walter-von-der-Vogelweide-Gedächtniscup (((radfahren + Bier)*6) + Gelage zum Abschluss).

Einer dieser ESK-Fress- und Saufveranstaltungen ist ein ausführlicher Eintrag in den Aufzeichnungen der „Jen*“ gewidmet. Es ist das sogenannte Grünkohlwettessen 2012, das jährlich in Erinnerung an die erfolgreiche Schlacht an der Weser, als dort 1791 die schlappen Hansetruppen vom ESK-Regiment in einem kurzen, mit brutaler Härte ausgeführten Überraschungsangriff geschlagen worden waren, veranstaltet wird. Aus den Weserniederungen brachten nach dem Sieg die Statthalter des ESK in Bremen, Sven Staub und Olafur Zwock, exotische Speisen in die Berliner Heimat: Grünkohl mit Pinkel. Dieser nahrhafte Eintopf fand schnell Anklang bei den an Kohl und fettige Wurst gewöhnten Gaumen und wurde so zum kulinarischen Ausgangspunkt für einen neuen Wettkampf. Die 2012'er Edition des Grünkohlwettessens ist auch deshalb interessant, da sie einigen Aufruhr in der Boulevardpresse verursachte und somit erlaubt, die tatsächlichen Geschehnisse mit der fiktionalisierten Ereignisschilderung und deren Rezeption gegenüber zu stellen. Nachfolgend eine Abschrift der dieses Ereignis betreffenden Aufzeichnungen der „Jen*“. [folgt]

3 Kommentare

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  • Ich bin beeindruckt. Manches hatte man geahnt, Manches konnte den wenigen Veröffentlichungen in Fachpublikationen entnommen werden. Doch in solcher Dichte lagen diese Informationen bisher nicht vor. Ich für meinen Teil bin gespannt auf die angekündigte Fortsetzung und hoffe hieraus auch Material für meine eigene Forschung entnehmen zu können. Danke.

  • Eine wissenschaftliche Sensation! Alice Schwarzbache seziert nüchtern, kenntnisreich und in seltener sprachlicher Klarheit einen der letzten mysteriösen Geheimbünde. Ohne dass die Autorin der Verlockung nachgibt, selbst derartige Bewertungen abzugeben entlarvt sie den ESK als einen erzkonservativen Männerbund, in dem Initiationsriten und Trinkrituale eine elitäre Peer-Group herausbilden sollen, die letztlich doch nur durch diese Rituale zusammengehalten wird. Leider recht knapp fällt die Bewertung der Autorin zur Rolle der Frau aus – es deutet sich jedoch an, dass diese durchaus nicht allein als Feigenblatt für einen kaum verhohlenen Machismo dient, sondern durch den Kader selbst als Eisenschwein konstruiert wird und damit zwar die Gendergrenzen übewindet, letztlich aber maskuline Verhaltensweisen annimmt.

  • Ehrlich gesagt, kann ich es kaum fassen, daß in der heutigen Zeit, ein solcher Männerbund existiert. Finde es aber erstaunlich, daß die Diskussion darüber jetzt öffentlich gemacht wird und sich kaum einer der Herren zu den Vorwürfen äußert.

    Es scheint sich das allgemeine Phänomen des Wulffens weiter auszubreiten.

    Und „Inner Circle“ haben noch nie dafür gesorgt, daß etwas wirklich voran geht. Meist bestehen diese aus Personen, die sich für etwas besseres halten, vielleicht weil sie länger dabei sind als andere, auf jeden Fall aber wohl aus einem gewissen Größenwahn heraus.

    Das alles gehört wohl abgeschafft.

    In diesem Sinne
    Ramon

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