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L’Eroica 2011

Eriberto Smonzetti – IRN Rom

An diesem sommerlichen Herbstwochenende sollte wieder die internationale Radsportelite auf die staubigen Pisten der Toscana gehen. Zahlreiche Weltmeistertrikots schmücken das Fahrerfeld, doch eine Gruppe stach schon beim Einschreiben am Vortag aus der bunten Masse.


Ihre Präsenz war bis in die letzte Ecke der Stadt zu spüren, heimliche Blicke folgten ihnen und die internationale Journaille drängte sich um Lichtbilder. Bisher waren diese Trikots in der Toscana nicht zu sehen und die Buchstabenkombination ist für die italophone Zunge schmerzhaft. Um weiteres zu erfahren, heftete sich unser Reporter Eriberto Smonzetti an ihre Fersen. Lesen Sie seinen Bericht vom ersten Oktobersonntag.

Es ist kalt und mitten in der Nacht. Ich soll einen Haufen Deutsche verfolgen. Mir ist schlecht vom Rotwein und ich habe keine Zigaretten mehr. Ich brauche Kaffee. Meine Vespa will auch nicht so recht. Alles Mist. Da hinten kommen sie. Ach Du Scheiße….

Einschreiben, Radabnahme, Gruppenphoto. Ich schleiche um die Räder, die meisten sehen wenig furchteinflößend aus. Genauso wie die Fahrer. Kaum Chrom, der Lack stumpf. Und die Reifen eines Rennfahrers unwürdig, mehr als daumendick und teilweise mit Profil. So kann man doch nicht fahren! Und erst die Fahrer selbst. Haben die keine Manieren? Die tragen nichtmal Unterhosen! Jeder vernünftige Italiener weiß, daß man niemals das Sitzleder auf der blanken Haut tragen sollte. Und rasierte und geölte Beine haben die Herren, aufgeblasene Gecken, kein Italiener würde jemals so fahren. Wahrscheinlich krepieren sie am ersten Anstieg und ich kann zurück ins Bett zu – wie hieß sie? Egal, es geht los.

Mist, die Vespa springt nicht an. Kann mir mal jemand helfen? Ich bin im Dienst! Na also, geht doch. Wo sind jetzt die Deutschen? Ich fahre jetzt schon 10 Minuten, überhole reichlich tapfere Italiener, grandios sehen sie aus. Herrliche Landsleute, kräftig behaarte Waden, ich liebe sie. Mal fragen, ob die Deutschen vorbeigekommen sind. Antwort „Madonna mio!“ Also am Gashahn gedreht und auf die Verfolgung. Endlich sehe ich am Horizont ein Grüppchen. Wie ein Panzer pflügen sich die neun durchs Feld, fluchend spritzen Überholte zur Seite, erschöpft fallen schon nach wenigen Metern tapfere Italiener aus dem ersehnten Windschatten. Was soll das? Da erschallt der Ruf von Siggi Staub „Los Jungens, nochmal richtig Feuer legen!“ Und es geht in den ersten Schotter, eine strade bianche, ein italienisches Heiligtum. Hier wird sich zeigen, wer was kann. Doch der deutsche Tank schiebt sich unaufhaltsam hangauf, ungebremst und ungestüm. Keiner kann folgen, während erste Velocipisten den fackelgesäumten Anstieg zu Fuß nehmen. Doch einer, ein kräftig untersetzter Südländer, stolz im Antlitz und kraftvoll über den Lenker gebeugt, zieht an den ungeliebten Nordmännern vorbei. Hönisch lachend gibt er ihnen Staub zu fressen, recht so.

Die erste Abfahrt und die -Armada zieht ihren ungebremsten Weg in den Schotter, Kies spritzt nach allen Seiten, Stelzenacker unbeleuchtet in Front auf der Suche nach der Ideallinie, die anderen folgen blind. Staub knirscht zwischen den Zähnen und dringt in die Augen. Wie von dichtem Nebel wird die Sicht versperrt. Erste Reifenschäden beim großartigen italienischen Team zwingen die Azzurri zu einer Zwangspause, der Capitano wendet in der Abfahrt, um zu seinen Mannen zu kommen. Das ist grandioser italienischer Sportsgeist. Und was machen diese deutschen Schnösel? Siggi Staub schreit unseren Capitano an! Das kann doch nicht wahr sein. Während der sportliche Ligure beide Füße aus den Riemen nimmt und auf dem Boden schleifen läßt, die Bremse bis zum Anschlag gezogen, um keinen Mitfahrer zu gefärden, fahren diese Rohlinge ungebremst und halsbrecherisch bergab. Doch nicht alle können der ungebremsten Fahrt folgen, ein dezimiertes Quintett geht auf das nächste Asphaltstück. Wird auch lautstark die Devise ausgegeben auf die anderen zu warten, so ist das Tempo weiter ungemindert hoch. Wir erreichen Sienna nach nichtmal einer Stunde und der Rand des Horizonts beginnt sich zu färben. Ein Blick auf den Tacho zeigt eine maximale Geschindigkeit von 77km/h.

An der ersten Verpflegung sind bereits 10 oder 15 Leute, die Stempelstelle ist erst seit 10 Minuten geöffnet. Während der Körper eines Reporters von Weltruf nach einem Ristretto lechzt – genauso wie nach der Umarmung durch seine Mamma – stürzen sich die verbliebenen 5 Berliner auf alles, was sie greifen können. Brote mit Salami, Schinken, Hackfleisch, Kuchen, Obst, Honig, Käse, Tee und Wasser stopfen diese kulturlosen Barbaren wahllos in sich hinein.

Die meisten verschmähen den gereichten Wein bei kühlen 12° im ersten Sonnenlicht, nur einer, den sie a tutta birra nennen, nimmt einen Schluck. Und nach wenigen Minuten ist die ganze Formation wieder komplett, Boom hat erste Schotterspuren am Knie. Doch sie bemühen sich nicht, die volle Gruppenstärke weiter auszuspielen, sondern das Sextett Staub, Stelzenacker, Frö, , und Boverhannes zieht leicht fröstelnd davon.

Nur vereinzelt sind Fahrer am Horizont zu erkennen, keine 10 Fahrer liegen vor den Mannen. Und schon wieder greifen sie – über diese Ungelenkheit kann der Italiener nur lächeln – an den Unterlenker, ziehen am Horn, als gäbe es kein Morgen. Verluste werden gemacht, erste Fahrer müssen dem Fahren auf Verschleiß und Verlust Tribut zollen. Die Streckentrennung nach gut 60km und der folgende Aufstieg nach Montalcino sieht nur noch 4 Fahrer in Front, Stelzenacker und Frö mit der quietschenden Bremse müssen reißen lassen. Vielleicht waren sie übermotiviert ins Rennen gegangen.

Montalcino – ein Schicksalsberg für die Deutschen wie Montecassino. Unablässig schrauben sie sich in die Höhe, gut 500Hm auf 12 km sind zu überwinden. Die Sonne fängt an zu brennen, die Zeitung ist lange aus dem Trikot verschwunden. Siggi Staub schont seine Trinkflasche mit dem Hinweis auf die excellente Befestigung, an der er nicht tüddeln will. Doch die Mitfahrer reichen ihm kühles Nass und am Wegesrand hat ein netter und reicher Mann vor seinem Landsitz einen Tisch mit Getränken aufgebaut. So langsam muß diesen Fahrern Respekt gezollt werden.

Erstmals merkt man die Unzulänglichkeiten der schmalen unprofilierten Pneus, rutscht der hintere doch im Wiegetritt durch. Dazu verliert Twobeers noch seine Werkzeugtasche auf der Rüttelpiste, der Riemen ist gerissen, Made in Germany, haha. Damit sind die Trikottaschen bis zum Bersten gefüllt, die Armlinge werden unter den vorderen Hosenträgern deponiert und schützen dort vorm Auskühlen. Direkt nach der Werkzeugtasche löst sich auch noch die Startnummer vom Rad, doch der Fahrer von G.S. Lupi Grigi drängt zum Weiterfahren. Nach Montalcino erneute Zeitnahme, ein Schluck Wein, wieder Brote mit Salami, Schinken, Hackfleisch, Kuchen, Obst, Honig, Käse, Tee und Wasser – herrlich.
An dieser Verpflegungsstelle sieht sich das ganze Team ein letztes Mal an diesem Tag. Während die ersten schon wieder losrollen, kommen die restlichen Fahrer an die Labe. Der Reporter bleibt immer an der Spitze, hoffend auf ein baldiges Einbrechen der Tedescen. Doch immer wieder ist der unverständliche Ausruf „Das hätte Huschke gefallen!“ zu hören.

Nach Montalcino verändert sich die Gegend. Wurden bisher meist Wald oder Wein- und Olivenberge durchfahren, liegen jetzt ringsum nur gepflügte Felder graubraun um die weiße Schotterstrasse. Dafür ist der Blick weit, die Räder rollen unerbittlich voran, leicht werden die Kilometer abgerissen. Konkurrenz wird auf Kilometer vorher gesehen und zurechtgelegt. Wenn der Gegner unkundig an den Rahmenschalter greift, ja dann wird vorbeigezogen. Hart und ohne dem Gegner einen Hauch von Windschatten zu gönnen. Selbst Störversuche durch die stinkende Vespa des Reporters können nichts ausrichten.

Stempelstelle vier. In der letzten Stunde wurden noch 3 Fahrer, darunter ein italienisches Weltmeistertrikot, überholt. Und damit ist das Quartett aus mit Staub, Pda, Boverhannes und Twobeers unter den ersten sieben des gesamten Fahrerfeldes. Das spricht von einer Dominanz und Teamstärke, die keiner vorher angenommen hat.

Und direkt hinter der Stempelstelle gehts in eine Abfahrt, die den Ausdruck „Waschbrett“ nicht verdient hat. Querrillen tief wie Schützengräben durchziehen die Straße. Wer hier nicht den Bremsgriff hält, der hält ihn niemals mehr. Der aus Hessen stammende Pda kommt nicht in die linke Pedale und muß anhalten, da ein Riemeneinstieg bei der Straße nicht möglich ist. Die Hälfte der Strecke ist geschafft, jetzt läufts und die Informationen an der Stempelstelle setzen zusätzliche Kräfte frei. Plötzlich das Unglück für die Mannen aus Berlin, Twobeers fährt platt, ein Durchschlag kurz vorm Ende des Schotters. Pda fährt langsam weiter, eine nächste Labe muß unmittelbar folgen. Auch Siggi Staub fährt weiter, er will eine Standpumpe organisieren. Nur wenige Minuten später ist er wieder da, die Labe ist nur ein paar hundert Meter weg, dort kann richtig Luft gegeben werden.

An der Labe, einem größerer Hotel, sitzen Gäste gerade beim Früstück, während die Berliner Recken schon einen halben Tag unterwegs sind. Der Reporter übrigens auch, das Sitzfleisch brennt auf dem Vespasitz. Erstmals darf die von Staub angepriesene Suppe gekostet werden. Dabei handelt es sich eher um einen Brei mit Saubohnen, Grünkohl und reichlich Fett. Sättigend und man kann den ganzen Tag davon aufstoßen. Ein Wasserhahn im Garten des Hotels wird zum Entsetzen der Angestellten zur Kopfdusche entweiht, mittlerweile zeigt das Thermometer 30°C. Die Wollhemdem spenden angenehme Wärme…Die italienische Lebensart wird auch an dieser Labe vorgeführt. Während die Deutschen nur stumpf an Energiezufuhr denken, berichtet der italienische Mann von Welt allen bekannten und unbekannten per Mobiltelefon von seinem Abenteuer. Mitterlweile sind es immer die gleichen Gesichter, die sich an den Laben treffen.

Aus dem starken Quartett ist inzwische ein Grüppchen Einzelkämpfer geworden. Pda fürchtet um seinen Einbruch, Staub kämpft mit der Verdauung. Doch es geht endlich mal eine Weile relativ flach und asphaltiert voran, und wieder kann der Unterlenker gegriffen werden.

In diesem Teil der Strecke kommt es irgendwann wieder zu einem Zusammenschluß der 135 und 205km. Merklich war das nur an der Anzahl von Fahrern, waren bisher doch die Heroen der fast alleine unterwegs. Und durch das hohe Radleraufkommen gab es sogar einen Autounfall. Die erste gemeinsame Labe der beiden Strecken ist die . Hunderte drängen sich, das Buffet sieht geplündert aus. Hier muß das Füllen der Flaschen reichen, es ist 12:00 und es sind noch 60km, die Berliner sind immernoch zu viert und gut in der Zeit. Staub hatte die ganze Zeit vor den „Big Waves“ gewarnt, jetzt sind sie da. Direkt aus der Labe gehts in einen Schotteranstieg, die meisten kommen nicht vernünftig in den Sattel. Viele versuchen es garnicht erst und schieben. Teilweise ist die gesamte Wegesbreite von schiebenden blockiert. Boverhannes und Twobeers müssen nacheinander vom Rad, rutscht das Hinterrad einmal weg, ist an Anfahren nicht mehr zu denken. Selbst die treue Vespa versagt hier ihren Dienst.

„Big Waves“ – ein herrlicher Ausdruck, doch beschreibt er nicht annähernd die Tatsachen. Kaum mehr als 200Hm am Stück sind zu bewältigen, doch warum sollte dafür die Straße Kurven machen? Es geht einfach nur senkrecht in den Himmel. Und wieder runter, wo wieder das ganze Unvermögen der Fahrerschaft sichtbar wird. Während die Berliner seit mittlerweile sieben Stunden eins mit ihrem treuen Rad sind und die Fuhre sicher und fast ungebremst durch den tiefen Schotter steuern, sind die Fahrer auf den kürzeren Strecken voller Angst. Dazu kommt ein fast geschlossenes Spalier aus Schläuchen und Schlauchreifen. Ein kleiner Tümpel inmitten der kahlen Mondlandschaft treibt die Heroen des Schotters fast in den Wahnsinn, doch die nächste Wasserstelle ist noch weit.Dazu steht die Sonne senkrecht, 34°C im Schatten.

Das Ende der Big Waves und des Schotters. Erleichterung, endlich wieder rollen. Ein Brunnen hat hier Staub vor Jahren schon mal das Leben gerettet, als er seine Flasche verloren hatten. Doch heute ist der Brunnen so stark frequentiert, das Boverhannes, Pda und Twobeers vorbeifahren. Ist das Wahnsinn? Unvermögen? Ein letztes Zeigen von Stärke? Staub mußte in den letzten Anstiegen reißen lassen. Das übliche Bild, der Unterlenker, das weiße Lenkerband mittlerweile von einer schmutzigen Patina überzogen, werden die italienischen Fahrer und auch die Starter der anderen Nationen kassiert. Eigentlich müßte hier die letzte Labe und Stempelstelle vor dem Ziel kommen, doch im Rausch der Geschwindigkeit nehmen die Berliner die Umgehungsstrasse des Ortes und nicht die abgesperrte Gasse auf den Marktplatz. Da nach 500m wieder die richtige Route erreicht wird, denken sie sich nichts dabei. Und der Reporter wird sich hüten, diesen Irrtum aufzuzeigen, droht doch eine eventuelle Disqualifikation.
Das Roadbook spricht von einem langen Schotterstück, Nummer 13 von 15. In Wirklichkeit ist es die Hölle. Die Hitze ist nicht auszuhalten. Kein Lüftchen geht, kein Schatten weit und breit. Und auf diesem Stück sind sogar einige kostümierte auf der ganz kurz Strecke unterwegs. Boverhannes fährt vorne raus, weiß er doch, daß er in der Abfahrt wieder eingeholt wird. Pda fällt hinten raus, hier kämpft jeder für sich. Der Tacho zeigt nur noch knapp zweistellige Werte. Bei Twobeers schmerzen Schulter und Nacken furchtbar, die Hände können den Lenker nicht mehr halten. Salziger Schweiß läßt die Augen brennen. Wie weit noch bis zum nächsten Brunnen. Wenn er jetzt umkippe, wird ihn jemand finden? Wahrscheinlich nicht. Mechanisch bewegen die Beine die Kurbel, von Willen kann nicht mehr die Rede sein. Doch die Schwächephase in dieser Passage muß allgemein sein, denn es gibt keinen, der ihn überholt. Der Rennarzt wird später von einem Kreislaufkollaps sprechen, Twobeers von mehreren Kolläpsern.

Eine Ecke, eine Mauer, ein Stück Schatten. Nichts geht mehr. Absteigen, ausruhen. Ein Riegel, Wasser. Eine Stimme aus dem nichts: „Ich bin hier.“ „Wer?“ „Boverhannes.“
Er wartet hinter der Ecke an der Mauer. Lagebesprechung und großes Wehklagen von Twobeers. Nichts würde mehr gehen, garnichts. Wie solls weitergehen? Bis zum nächsten Ort und dort ins Café. Vagliagli soll es sein. Angeblich gehts bis dahin nur noch bergab, bei 16km/h kaum vorstellbar.

Das örtliche Restaurant wird gerade zur Mittagspause abgeschlossen. „Wasser, BITTE!“ „L'Eroica?“ „Ja“ „Café?“ „Doppio…“ So sitzen Boverhannes und Twobeers keine 30km vom Ziel entfernt auf einer schattigen Veranda abseits der Strecke. Wieviele mögen vorbei fahren? Egal. Die Salzkruste auf den Klamotten färbt diese grau. Einzelne verbliebene Azzurri wittern ihre Chance und schleichen auf der Straße vorbei.

Die letzten beiden aus der deutschen Hauptstadt studieren das Roadbook, das müßte jetzt der höchste Punkt der restlichen Strecke sein. Plötzlich kommt ein weiterer Fahrer dazu, mit dem Boverhannes am Morgen durch die Dunkelheit fuhr. Roberto setzt sich zu den beiden, trinkt auch einen Café und macht die Flaschen voll. Er zückt Geld, Twobeers fragt „Bezahlst Du für uns?“ „Ich bezahl nicht für Euch, ich lade Euch ein. Wir sind hier in Italien.“ Roberto drängt auf Weiterfahrt, die beiden bisher gefühllosen deutschen Panzer haben Tränen der Rührung in den Augen. Am Ortsende die Ernüchterung, statt einer ebenen Straße warnt ein Schild vor 15% Gefälle. Und wo man runterfährt, muß man auch wieder rauf. Eigentlich sollten die letzte Kilometer mit bvzw. hinter Roberto absolviert werden, doch schon nach wenigen Metern auf der Abfahrt muß er abreißen lassen. Dafür wird gefühlt zum zehnten Mal der Fahrer der Lupi Grigi überholt und gegrüßt.
Verdammte Scheiße, will das denn nie enden? Radda, am Vorabend unsere Einkehr. Keine 15km mehr. Selbst bei derzeitigen Zustand keine Stunde mehr. Die Barbaren der Organisation schicken die Fahrer durch den Ortskern, wo das Militär gerade historische Fahrzeuge zeigt und die Fußgängerzone unbefahrbar ist. Nachdem für 200m 10 Minuten drufgehen, ist man wieder auf der Hauptstrasse. Dort herrscht reger Autoverkehr. Radfahrer schieben oder fahren in Schrittgeschwindigkeit die letzten Anhöhen hinauf. Auch diese Hürde wird apatisch genommen, willenlos ergeben sich alle ihrem Schicksal und der Qual. Selbst das Verlassen der direkt zum Ziel führenden Straße und das damit verbunden Abbiegen auf die letzte bianche wird mit stoischer Gelassenheit genommen. Nichts kann die Fahrer mehr schocken. Staubi ruft an, das Ankommen der Spitzengruppe wird angkündigt, er ist nach einer Abkürzung schon im Ziel.
Und plötzlich Gaiole. Daran hat keine mehr geglaubt. Die Straße geht ins Tal, überall Menschen. Die Route zweigt nach rechts ab, doch bremsen ist nicht möglich. Eine Frau meint, auch die nächste Straße rechts würde zum Ziel führen. So kommen die erschöpften und gezeichneten Recken nicht am wartenden Siggi Staub vorbei, doch trotzdem in den Zielbereich. Jede Streckenlänge hat ihren eigenen Zielbereich, die Kapelle spielt. Alle Ziellinien werden belagert, nur die 200er ist leer. Es geht auf ein Podest, Stempelkontrolle, Foto. Das wars. Plötzlich Leere.

Pda kommt als dritter der Berliner ins Ziel. Zur Bar, ein warmes Bier. Zum Wasserhahn und den Schweiß abspülen. Fotos mit Leuten, mit denen man gemeinsam ein Stück gefahren ist. Glückwünsche, Schulterklopfen. Krämpfe in den Oberschenkeln. Es geht keinem gut, doch keiner gibt das zu.
Die Frau vom Sachsen empfängt die deutschen Fahrer und gibt ihnen von den Getränken ihres Mannes. Mit bestem Blick auf die Zieleinfahrt wird auf die noch kommenden gewartet. Erste Nachrichten von der Strecke. Alle hätten sich für die lange Variante entschieden. Der Sachse müßte gleich da sein, er hat vor eine halben Stunde angerufen und hätte noch 80km vor sich, eine Feierabendrunde. Alle brechen in heiseres Gelächter aus, 80km sind die Hölle…
Doch alle erreichen das Ziel, matt, grau, ausgemergelt, noch nicht mit sich zufrieden. Doch das ändert sich im Laufe des Abends, als alle schon lange bei Wein und Pasta in Radda sitzen und in tiefdunkler Nacht immernoch Fahrer mit wenig oder ohne Licht vorbeikommen, seit mindestens 12 Stunden unterwegs und noch 2 Stunden vor sich.

Hat sich die Fahrt gelohnt? Zumindest muß der deutschen Mannschaft, jenen unerschrockenen Helden der Straße und des Schotters, die sich selbst „“ nennen, tiefer Respekt gezollt werden. Sie wissen das Rad zu führen, alles zu geben für das eine Ziel. Erst Benedetto, jetzt der ESK. Wahrlich, wir müssen unser Bild von diesen groben Nordmännern richten.

Salute e bravo!

Eriberto Smonzetti – IRN Rom

Im Anschluß an das Rennen wurden Interviews mit den Startern geführt. Warum fand Stelzenacker das Rennen Scheiße, wie kam es zu Riflis Wunderheilung, wie konnte sich der Reiseleiter verfahren, wo spendete Boverhannes die magische Pumpe, woher nahm Pda seine Kraft am Berg, warum versagte Staubs Verdauung doch noch, was macht ein Sachse ohne Chabezo? Fragen über Fragen, die Sie in den nächsten Ausgaben lesen werden.

twobeers

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