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Ich gegen die Bahn

„Willst Du nicht mitkommen zum Baden?“ fragte mein Weib.
„Och nö, laß mal, ich setz mich lieber aufs Rad. Vielleicht komm ich an einem See vorbei und springe da rein.“
„Aber es wäre sehr schön, wenn wir mal wieder zusammen etwas Zeit verbringen würden…“
Diese Sätze fallen am frühen Mittwochnachmittag, der für die nächste Zeit letzte heiße Tag. Ich muß noch eine zwei Sachen erledigen und als ich wieder nach Hause komme, ist die Familie schon weg. Die S-Bahn würde um 12 abfahren, mit Umsteigen ist die Ankunft für 46 in Wandlitz geplant. Ob ich die Familie überraschen könnte? Sechsundfünfzig Minuten vor dem Eintreffen gehen mir diese Gedanken durch den Kopf. Wie weit ist das eigentlich? Könnte knapp werden. Straße ginge sicher schnell, doch gibts da Ampeln, die aufhalten. Und ein mit einer auffälligen Markenbeschriftung vorm Freibad abzustellen ist sicher auch nicht so klug. Noch 54 Minuten. Vielleicht sollte ich den Crosser nehmen. Der sieht nicht so diebeshungrig aus und die Ampeln fallen weg. Noch 53 Minuten. Ich brauche Badehose, Handtuch und ein Schloß. Ich muß mich umziehen. Alle Fenster schließen. Ich muß in den Keller, aufpumpen. Noch 48 Minuten. Welchen Weg? Welcher ist am schnellsten? Ach könnte ich doch die Optionstaste „Schnellste Verbindung“ auf einem Elektrospielzeug antippen…So bleibt mir nur die bekannte Strecke, erstmal durch den Schloßpark. Ecke Pasewalker verliere ich eine Minute an der roten Ampel, das würde die einzige bis Wandlitz bleiben. Eine weitere Minute kostet mich die Überquerung der Pankgrafenstraße in Karow. Ich greife zu einem Mittel, welches ich sonst nur für Propagandaaufnahmen und einsetze, ich greife zum Unterlenker. Bei gut 30°C kühlt der Fahrtwind nicht so recht, dafür brennt der Schweiß in den Augen. Der grobe Schotter bei den Hobrechtsfelder Rieselfeldern schlägt krachend gegen den Rahmen, Genußradler fallen vor Schreck fast um, denken sie doch, daß der freilaufende Bulle, vor dem auf vielen Schildern gewarnt wird, hinter ihnen her sei. Die Staubwolke ist ähnlich groß, gerüchteweise soll ein Feuerwachturm Alarm gegeben haben. Der tiefe Sand kurz vorm Gorinsee verlangsamt die Fahrt nur wenig, vor mir fahren 3 Jungmänner auf Baumarkträdern und schmeißen ihre geleerten Bierflaschen ins Unterholz. Ich habe noch genug Luft, um ihnen eine Tirade miesester Schimpfworte zukommen zu lassen, die kommende Verfolgungsjagd und die angedrohte körperliche Züchtigung haben keinen Einfluß auf meine Reisegeschwindigkeit, meine Verfolger dagegen fallen nach nicht mal hundert Metern erschöpft in den Staub. Keine 20 Minuten mehr bis Wandlitz. Die Waldautobahn ist in bestem Zustand und nichts stört mein Vorankommen. Zwischen dem äußersten Zipfel Basdorfs und der Versorgungsstrasse der Waldsiedlung wurde grob zerkleinerter Autobahnbetonbruch ausgelegt und gewalzt. Ich kenne die Strecke zwar nicht, lasse mich aber auf das Abenteuer ein. Die dunklen Gläser der Brille haben mittlerweile eine dicke Salzkruste und der Wechselspiel von Licht und Schatten im Wald lassen Unebenheiten und Löcher nur spät erahnen also den Lenker fest gegriffen und das Rad soll den Weg alleine suchen. Ich erreiche den Imbiss am Liepnitzsee und habe noch 4 Minuten. Auf Asphalt sollten die knapp 4 Kilometer doch zu schaffen sein, vielleicht hat der Zug ja mal eine Minute Verspätung. Kreisverkehr Wandlitz. Ich muß rechts abbiegen und also nicht warten. Selbst die einzige Ampel von Wandlitz ist gnädig und so erreiche ich das Ziel. Erste Reisende verlassen gerade das Bahnhofsgebäude, die kurzen Beine meiner Tochter geben mir noch ein paar Sekunden. Die Bremsen kreischen am Eingang des Strandbades. Jetzt schnell Puls und atmung wieder auf normal bekommen und entspannt aussehen. Leider verrät mich die starke Transpiration, doch die Überraschung ist gelungen. Nach der Abkühlung im See lasse ich die Rückfahrt etwas ruhiger angehen….

twobeers

7 Kommentare

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  • Wer da auf die Bahnn gesetzt hätte, kennt Twobeers nicht oder die Bahn. Das Ende war klar, aber trotzdem sehr unterhaltsam!
    Danke für diesen lichten Start in diesen grauen Tag.

  • Hi Zweibier,
    da gibt es aber eine bessere Strecke. Über Mauerweg, Blankenfeld, in Richting Alte Mülldeponie, diese rechts liegen lassen, an Bahn entlang, unter Bahn am S-Bhf Mühlenbeck, hinter Berufsbildungszentrum rechts an den Schrebergärten entlang, vor Schönwalde, Rtg. Autoverwertung, dann grobe Rtg. Geradeaus durch den Wald, bis Basdorf, dort links der Bahnstrecke folgend, an einem Neubaugetto die Bahnlinie überqueren und dann auf Aspfaltstrasse gerade aus bis zur B 273, Strasse kommt links vom Imbiss am Liepnitz auf die B273. Bei 3 – 4 mmol Laktat ist diese Strecke in einer knappen Stunde zu schaffen. Ist sehr schön zu fahren, keine Ampeln, außer in Pankow, keine anderen Radfahrer, sowie Wald….

    Grüße

    Schüni

  • @Schüni: Du beschreibst ziemlich exakt meine Strecke zurück…und bei einer knappen Stunde hätte ich verloren.

    Twobeers

  • Klasse Geschichte, gelungener Schluss und dann noch der heroische Einsatz für die Erhaltung unserer wunderschönen Natur. Da können sich die vagabundierenden Tierschutzexperten, welche einem überall in Einkaufsmeilen auflauern aber mal ne ordentliche Scheibe abschneiden!

    Beste Grüße aus dem Norden

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