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Vom Ötzi zum Bodensee

Unglaublich wie naiv! Im Vorhinein hatte ich mir doch glatt in den Kopf gesetzt, nur ein Tag nach dem Ötztaler Radmarathon an zwei Tagen von dort mit dem Rad zum Bodensee zu fahren. Ich hatte felsenfest damit gerechnet auf dem Ötztaler mein persönliches Waterloo zu erleben, aufzuplatzen, zu sterben; und hatte dennoch den Plan, tags drauf mit dem Renner und Rucksack die 1000 Höhenmeter über das Hahntennjoch zu kurbeln. Mir ist noch immer nicht bekannt, wie dieser komplett realitätsverlustige Plan dennoch Erfolg haben konnte, aber ich bin am Dienstag nach dem Rennen mit dem Rad in Lindau am Bodensee angekommen.

Das Vorhaben stand nicht nur unter dem schlechten Stern des Wahnwitzes, dass ich mich nach einem solchen Rennen bei meiner Verfassung am Folgetag überhaupt nur bewegen, geschweige denn auf’s Rad schwingen könnte. Nein, auch die Wettervoraussagen hätten nicht schlechter sein können: Noch kälter als es eh schon war und Schneefall bis runter auf 1500m.
Am Montagvormittag orakelte ich im Beisein von Staub und Kemper über das Wetter, und was es doch für eine schlechte Idee wäre, heute und morgen Rad zu fahren. Aber die beiden meinten nur, dass es der Regeneration der geschundenen Muskeln nicht unbedingt zuträglich wäre, am Tag nach dem Rennen wieder mit dickem Gang steile Pässe hoch zu fahren; sie würden mich aber beneiden, dass ich jetzt auf’s Rad stiege. Aber die mussten ja nicht! Ich musste. Und wäre doch lieber gerne ins Auto gestiegen. Zumal so ein Aufbruch alleine nach mehreren Tagen zusammen guten Freunden für mich immer ein eher trauriger Anlass ist.

Kemper und Staub zuwinkend rollte ich vom Hof der Ferienwohnung und ins Tal nach Ötz. Auf der breiten Landstraße aus Ötz bergab fahrend merkte ich es schon: Aua. Das rechte Knie tat weh, auch ohne Last. Einige Kilometer später, schon auf der Bundesstraße nach Imst zu, waren die Schmerzen wirklich doll. Das Knie schmerzte höllisch und bei Gegenwind kämpfte ich mich wie in Zeitraffer die geringe Steigung bergan. Über die Kuppe rollend dachte ich daran, in Imst zu übernachten und am Dienstag mit dem Zug zum Bodensee zu fahren. Ich machte eine Pause.

Soviel zum Vorspiel.

In Imst angekommen hatte ich aber gar keine Lust neue Pläne zu schmieden und behielt den alten einfach bei. Noch im Ort verwandelte sich die Straße Richung Hahntennjoch zu einer Wand.


Blick zurück Richtung Ötztaler Alpen und auf Imst

Langsam aber stur pedalierte ich im gewohnten Wiegetritt zum Hahntennjoch hinauf. Die Sonne wich Wolken, der Himmel zog sich zu, es wurde kühler und kühler und alsbald gab es kleine Regentropfen. Der Wind wehte stark von vorn. Ich dachte schon bald oben zu sein, da schwänkte das Tal gen Westen, sturmartige Böhen schlugen mir ins Gesicht und die Straße schlängelte sich weiter bergan.

Langsam ging der Regen in Schneegraupel über und der Wind wurde so stark, dass mir der Graupel waagerecht von vorn ins Gesicht blies. Im Unterlenker das Rad wiegend und noch langsamer als am Vortag zum Timmelsjoch hinauf, drückte in den Gang gen Pass. Bei jeder halben Pedalumdrehung drohte ich zur Seite umzukippen. Ich schrie in den Sturm und stemmte die Kurbel herum. Die Knieschmerzen waren latent aber schwach. Gut war es wohl trotzdem nicht. Total kaputt erreichte ich das Hahntenjoch.

Es war empfindlich kalt. Ich zog mir alles über, was ich hatte – warme Handschuhe hatte ich natürlich nicht – und stürzte mich auf nasser Fahrbahn gen Tal. In dem Zielort dieses Tages erreichte ich ausgekühlt und kaputt das Gasthaus in dem Dörfchen Boden.

Boden ist ein wunderschön in den Lechtaler Alpen gelegenes, abgeschiedenes, idyllisches Bergdorf. Der Gasthof hatte ein dank eigener Wasserkraftanlage ständig auf 34°C geheiztes Hallenbad im Keller und Fernseher auf’m Zimmer. Bei der Beckmann-Sendung mit Sarrazin kam mir fast das Kotzen. Der Gasthof war eigentlich sehr nett, aber die Bewirtung unglaublich unerträglich. Dazu nur mehr bei Bier inner Kneipe. Jedenfalls wollte ich nicht länger dort bleiben als nur irgend möglich. Der verschlafene Blick aus dem Fenster am Dienstagmorgen machte mir die Abfahrt aber nicht wirklich leichter:
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Wooow, weiss, alles weiss, und es schneite dicken Flocken! Winter im Sommer.
Mit warmen Sachen und Regenkleidung war ich ansich gut ausgestattet, nur eines fehlte mir: warme Handschuhe. Ich musste doch ersteinmal fast 500 Höhenmeter bergab ins Lechtal. Die Hände würden mir abfrieren, dachte ich. Doch der Chef des Gasthofes hatte eine super Idee. Er gab mir Plastikhandschuhe aus einem Erste-Hilfe-Set, die sind komplett winddicht und, über die normalen Handschuhe gezogen, hatte ich damit den ganzen Tag warme, trockene Hände.

Nachdem der leichte Schneefall nachgelassen hatte, regnete es nurnoch. Immerwieder musste ich Schotter und Steine umfahren, die der Regen auf die Straße gespühlt hatte. Jetz einen Platten und ich raste aus!, dachte ich zu mir. Unten im Lechtal angekommen, hörte ich es zischen am Vorderrad. Stoisch fuhr ich noch einen Kilometer weiter, ehe ich gelassen in einer Bushaltestelle den Schlauchreifen wechselte. Was soll es, ist doch albern jetzt noch auszurasten…

Über Steeg und Warth führte mich die Straße bei dauerndem, leichten Regen hinauf Richtung Hochtannbergpass. Mein rechter Fuss wollte zwar nicht warm werden, aber ansonsten kurbelte es sich ganz passabEl. Ich kam auch wieder näher an die Schneefallgrenze heran.

Der Blick war umwerfend. Die Komposition aus grünen Wiesen und weißen Schnee ist man in der Art aus dem Winter nicht gewohnt. Die satten Farben waren großartig. Die warme Sonne, so sie denn durch die Wolken brach, verdampfte die Nässe auf der Straße binnen Sekunden zu waberndem Nebel, der sich mit den Wolken verschmischte. Am Hochtannbergpass angekommen pausierte ich kurz, zog das Jäckchen über, baute einen Schneemann und aß ein Schokocroissont.

Es ging wieder bergab, es war schnell und nass und gefährlich und kalt. Bald ging es flacher, es regnete, der Fahrzeugverkehr nahm zu, es regnete.

Doch je näher ich dem Bodensee kam, desto öfter bahnte sich die Sonne ihren Weg durch Wolken. Nach einigen Kilometern auf der nun vielbefahrenen Straße bog ich ab, um einen weniger befahrenen Weg über den Berg zu nehmen, als der Hautpstraße zu folgen. Laut meiner Tourenplanung sollte es nur ein kleiner Hügel sein und auch der Gasthauschef meinte am Morgen, es seinen nur 100 oder 150 Höhenmeter.
Doch erst nach unendlich langen 500 Höhenmetern erreichte ich den Losenpass in Bödele. Was habe ich geflucht zwischendrin. Das war wirklich kein Spass mehr. Und dazu die Westtiroler Autofahrer, die reinsten Henker!

Aber am Losenpass angekommen, konnte ich den Blick zurück in die Berge genießen und etliche, nette, sehr schnelle hunderte Höhenmeter bergab. Den hupenden Überholvorgang des BWM-Fahrers habe ich gekonnt gekontert.

Am Bodensee angekommen war es warm und sonnig, gar mediterran. In der Abendsonne fuhr ich in Frieden am Seeufer entlang nach Lindau. Was für verrückte drei Radfahrtage! In Lindau angekommen holte ich mir zwei Cheeseburger an einer nicht weiter namentlich zu erwähnenden Schnellimbisskette und genoss am Hafen die letzten Sonnenstrahlen.

Naiv angegangen waren die vergangenen drei Tage mit Sicherheit. Unvorhersehbar, unkalkulierbar. Aber ist es nicht manchmal das beste, wenn man sich unkontrolliert und planlos in ein Abenteuer wirft – auch wenn es nur ein so kleines ist? Es hält die besten Überraschnungen für einen bereit und an den ungeahnt neuen Erfahrungen kann man noch lange knabbern – oder sich noch lange erfreuen. Der Ötztaler und die Tour hier, Samstag bis Dienstag, vier Tage mal ganz anders. Ganz nah von zu Haus.

rb

19 Kommentare

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  • „Am Hochtannbergpass angekommen pausierte ich kurz, zog das Jäckchen über, baute einen Schneemann und aß ein Schokocroissont.“

    Großartig, Rob! Klasse Aktion, und das nach dem Ötztaler, unglaublich.

  • Hallo Rob,

    klasse Bericht, klasse Tour. Bin selbst schon den Hahntennjoch gefahren, bei schönen Wetter los, dann Wetterumschwung mit Nieselregen und Kälte. Habe auch in dem Bergdorf übernachtet. Ich konnte die Kälte in Deinem Bericht regelrecht spüren.

    Grüße

    Schüni

  • Lieber Rob, mein Freund und Gefährte!

    Ich bin regelrecht stolz Dich zu kennen. Du bist eine gnadenlos harte Sau und Dein Bericht gehört zu den besten, die ich je gesehen und gelesen habe! Was für epische Bilder, was für einmalige Erinnerungen – ganz großer Spocht! Es freut mich für uns alle, dass Du an jenem Montagmorgen Dein großes Herz in beide Hände genommen hast und in Richtung Bodensse aufgebrochen bist! Toll – vielen Dank, liebe Grüße und auf das wir bald dem nächsten Abenteuer gemeinsam begegnen werden… D.K.

  • Herrlich Rob!

    Solche Knieschmerzen können einen mächtig runterziehen. Umso beeindruckender, dass du das Vorhaben wie geplant durchgezogen hast. Wenn man die vorhergehenden Bilder mit dem letzten vergleicht, kann man sich gar nicht vorstellen, dass sie am gleichen Tag entstanden sind!

  • Oh Rob, das ist der zweite traumhafte Bericht in kürzester Zeit! Und die Bilder sind diesmal (klar, da nicht in Renngeschehen) eine echte Erwähnung wert!!! Ganz große Klasse!
    Das mit dem Schneemann hat mich auch gerade sehr erheitert, so fängt der trostlose Morgen vor der Arbeit doch gleich ganz anders an – you made my day! 🙂
    Ich hoffe, Du konntest Dich von diesen Strapazen wieder vollständig erholen und genießt den Restsommer ohne Berge und mit viel Sand in Berlin?

  • was für ein harter Hund, alle Achtung! Toller Bericht, tolle Bilder, überhaupt tolle und total verrückte Aktion, ganz, ganz große Klasse!

  • Robsen, Du bist echt der allerschürfste harte Knochen im weiten ESK-Land! Danke für beide Berichte und diese völlig behämmerte und jetzt schon legendäre Aktion!

  • Hi rob,
    … wenn wir uns nicht erst mitten in der Nacht des 03. Oktober zwischen Castello di Brolio und Siena auf dem groben Schotter der L’Eroica kennengelernt hätten, hätte ich Dir für diese Leistung eigenhändig ein paar schöne Kässpätzle gehobelt. Dazu hättest Du nur noch 10 km nach Lindau am Bodenseeufer weiter radeln müssen.
    Grüß mir auch den Oberheroen Henrik der 2 Plätze vor mir ins Ziel kam.
    Bis neulich!
    retorix

  • Was sich aufdrängt ist die Frage, wieso ihr Euch dort in der Nacht und schon am Anfang des Rennens kennengelernt habt. Hatte Rob etwa schon wieder defekt und Du hast Ihm geholfen?

    S. Staub

    • … kein Defekt. Rob und Hendrik sind nach dem Brolio aufgefahren, dann sind wir etwa bis Radi gemeinsam unterwegs gewesen und haben geschwatzt. Leider habe ich später beide im Zielbereich nicht mehr getroffen – sehr schade. Für Details gibt es demnächst sicher von Rob einen eigenen Bericht; nehme ich mal so an.

  • Hallo Rob!

    Habe Deinen Bericht mit Bewunderung und großem Respekt gelesen. Ich wäre wahrscheinlich erfroren, oder durch totale Erschöpfung in die ewigen Jagdgründe abgetaucht! Bin nicht mehr der Jüngste, aber so was müsste ich auch mal anpacken, darf halt nicht mehr lange warten…

    Schöne Grüsse nach Berlin und halt die Ohren steif!!

    Andreas

  • Was für ein Held! Wo er das nur her hat und wo er nur noch hin will? Und wirklich wieder bestens geschrieben und bebildert.
    Mit den besten Wünschen
    Mut

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