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Thüringens finest

Nachdem der diesjährige Harzsturm ja bei teilweise recht kalten und feuchten Bedingungen am Rennsteig bestritten wurde, kam uns der Plan am folgenden Wochenende eine neue Chance zu suchen. In der Woche dazwischen kamen zwar erhebliche Zweifel beim Blick aus dem Büro auf den anhaltenden Dauerregen, aber der Wetterbericht versprach ja Besserung. Also machten wir uns auf, am Samstag von Hörschel aus den Rennsteig seiner Länge nach zu befahren. Ein gewagter Plan, bedenkt man die voraussichtlichen Bodenverhältnisse und die Tatsache, dass es die erste Mehrtagestour meiner Begleitung werden würde und alleine die erste Etappe ihre bisher maximal am Stück gefahrenen Höhenmeter um den Faktor zwei übertraf…

Rennsteig
Rennsteig am vorherigen Wochenende, der erste Schnee mischt sich in den Regen.

Allerdings gab es dann doch eine gravierende Planänderung, da uns der Rücktransfer von Blankenstein abhanden gekommen war. Nach der Hälfte der Strecke auf dem Rennsteig und unserer Übernachtung ebendort sollte einfach links abgebogen werden und es von der Ilmquelle ab bis zur Haustür unseres Gastgebers entlang der Ilm zurück gehen. Also schnell einen Stein aus dem Garten genommen (das traditionelle Werra-in-die-Saale-Getrage entfiel ja eh), und in aller Frühe ab ins Auto, um zum Startpunkt zu shutteln, den wir dann allerdings auch noch an die Frankfurter Straße gelegt haben (wie es sich für Wahl-Frankfurter anbot).

Den Verlauf unserer Tour lest aber nun aus der Feder meiner Begleitung, auf dass die Erinnerungen geweckt werden an das eigene erste große Abenteuer auf dem Rücken eines Drahtesels:

Die erste „Mehrtages“-Tour entpuppte sich ja auch nur als eine 2 Tages Tour, aber als notorischer Ablehner von Zelten, Camping und permanente Verfechterin des Reisens mit Schminkköfferchen und Vollausstattung war dies für mich schon ein großes Wagnis, was andere wahrscheinlich müde belächeln – und dann auch noch 2 Tage auf so einem ungemütlichen schmalen Ding, „Sattel“ genannt. Nunja. So ein ganz gewiefter Radfahrer hatte ja seine Gesäßcreme bei uns vergessen und ich ahnte langsam für welchen Gebrauch diese gut sei. Aber von Anfang an: Als alter Wettkampfhase aus dem nassen Element war es mir ja nicht ganz fremd sich auf ein sportliches Grossevent vorzubereiten, aber die Aufregung stieg schon ins Unermessliche – zumal mein Begleiter zum wohl 10. Mal alles kontrollierte. Ich schaffte es sogar, mich nur mit Duschgel und Zahnbürste bewaffnet den Naturgewalten zu stellen. Es konnte also losgehen – und das um 6 Uhr morgens. Blödes Hobby – da will man sich doch erholen. Aber nein, unser Gastgeber fuhr uns zum erklärten Startpunkt und da waren wir auf uns selbst gestellt. In der Wildnis des Thüringer Waldes, völlig ohne Orientierung, mit Angstschweiß vor den unbekannten Höhhenmetern und zu fahrenden Kilometern stand ich da und wollte dann mal endlich los – bis mein Begleiter endlich seine Technik im Griff hatte und doch die wichtigsten Handgriffe unterliess – Kette ölen gehört zu den überbewerteten Dingen des Lebens. (Anm.: Ist halt nicht meine Uhrzeit!)

Wartburg
Erster Blick auf die Wartburg am frühen morgen.

Und da flitzten schon die ersten halbbekleideten anderen Vollstrecker dieses Hobbies an mir vorbei. Diese waren wohl an dem ursprünglichen Start in Hörschel um gefühlte 3h früher gestartet und brüllten mir ein fröhliches und munteres „Guten Morgen“ entgegen. Wie kann man nur so fit sein zu so früher Stunde?

Die erste Tour ging dann wirklich gemächlich durch fast bekannte (auch den Schlamm erkannte ich wieder) Wege und Wälder. Man muss es ja mal neidlos zugeben – so Natur am frühen morgen wenn alles noch nett und friedlich ist, kann einem schon das Herz erwärmen. Die Wartburg im Blick bahnten wir uns die ersten Schlammlöcher und Wege bis zur Hohen Sonne. Der Wiedererkennungswert nach dem Kennenlernen dieser netten Stätte nach himmelfahrtlicher Besetzung testosterongesteuerter Horden von menschenähnlichen Objekten war kaum da. Hier schaffte ich es das erste Mal, mich von den Ärmlingen zu trennen – nachdem ich noch mind. 1 Lage drunter trug. Naja, ist halt kalt morgens.

Nach weiteren 4km und bei Blicken über das tolle Thüringer Land einschliesslich eines motivierenden Überholmanövers eines Tourenradlers legte mein Begleiter eine Vollbremsung hin. Was war denn jetzt passiert? Ah… die gute Brille war nicht da. Vergessen an der hohen Sonne, die für mich gefühlte Lichtjahre entfernt war. Und obwohl ich ahnte, dass noch viel mehr Kilometer und Höhenmeter auf mich zukamen, radelte ich als treuer Gefährte den Weg wieder mit zurück. Angebote auf sonnige Rastplätze lehnte ich vehement ab – bin doch kein Weichei. Sehr positiv dabei, weitere Sportler zu sehen, die Ihren Sport lieben und fröhlich einen guten Morgen wünschten. (Anm.: Damit war dann auch der erschlichene Vorsprung vom Start wieder dahin.)

yo gomez
Impressionistische Fahrerkunst.

Gegen Mittag motivierten mich dann so Aussagen wie: „es sind nur noch 2km“ und „durch dieses Waldstück dann sind wir da“… – …genausowenig, wie mein kurzer Schlenker mit gefühlten 15% Steigung um mich dann doch wieder vor der Brotteroder Hütte zu sehen. Aber eines muss man dem Ganzen lassen – die Landschaft ist super schön, einzigartig und sehr erbauend. Toll da durch zu radeln und nach jeder Ecke was neues zu entdecken. Das lenkte doch von den müden Beinen etwas ab. Irgendwann war es geschafft – der Inselsberg, gefüllt mit dicken bratwurstgefrässigen Touris war da. Ich nickte natürlich mutig die Entscheidung ab, eine nettere Mittagspausen-und ich-leg-die-Beine-mal-hoch-Stätte zu suchen und wurde extrem positiv überrascht vom Heuberghaus. Sehr nett gelegen und die Hefeklösse sind einfach nur lecker. Jetzt hatte ich die Km erreicht, die ich sonst an einem Tag fahre – aber es ging ja weiter. Studien der Karten und des Navis sollten mir vermitteln, was auf mich zukommt. Böhmische Dörfer tuen das auch! Aber erstmal mussten wir einen Muntermacher zu uns nehmen. Dieser Cappuccino hat die Kaffeewelt revolutioniert: Filterkaffee+Kaba+Sahne ist einfach eine richtige Ossi-hier-bleibt-die-Zeit-stehen-Variante.


Nach diesem Genuss juckte es mir dann doch in den Beienn und ich wollte weiter dem Ziel entgegen. Wir arbeiteten uns Richtung Oberhof vor. Von da aus -ich hatte doch beim Kartenlesen ein bißchen aufgepasst- waren es wohl nur finale 15km. Also, Oberhof kann nicht so weit sein. Ich vermied den Blick aufs Navi um mich nur den Kilometern vor mir zu widmen. Immer geradeaus schauen – hilft ja bekanntlich. Und ich bin es ja gewohnt, manchmal nur auf eintönige Striche im Schwimmbecken zu schauen. Aber die Landschaft war eigentlich viel zu schön dafür. Es gab unglaublich viel zu entdecken – super schöne alte knorrige Bäume; Waldstücke, die voller Blumen waren. Schön.

Aber das Stück nach Oberhof zog sich dann doch. Unmerklich passte sich die Landschaft ironisch meiner Müdigkeit an und ging immer wieder mit leichter aber anstrengender und zehrender Steigung bergauf. Da sind mir doch knackige kurze Berge lieber. Irgendwann stand da ein Schild mit freundlichem „Oberhof 5km“ – JUHU – fast geschafft. Und mein Bgeleiter meinte nur: warte ab, wir machen PowerBar-Pause. Was auch immer dies ist – es versprach Wunder… In Oberhof öffnete sich das Stadion der Biathleten vor uns. WOW – ist das gross. Im Fernsehen ist dies ja nie ersichtlich – ich war schon sehr beeindruckt ob der Kulisse dort. Und dann der besagte Wunderriegel – ich hätt es ja nicht für möglich gehalten, aber das geht ja wirklich direkt in die Beine. Der nächste – eigentlich als unüberwindbar vermutete Hügel wurde erklommen. Ja, ich verstand so langsam um was es hier geht und hatte auch noch Spass dabei.

Nach der Bezwingung des letzten Feindes ging es leider ausserhalb des Waldes auf der Strasse weiter. Und ich stelle hiermit fest: ich bin nicht zum Rennradler geboren. Wieviel verschiedene Abgasdüfte existieren in Deutschland? Das wäre doch mal eine Wette für „Wetten, dass…“? Puuhh. Stinkerei, und dazu noch wegrasierte Begrenzungspfosten. Die Motorradler haben ganze Arbeit geleistet. Aber eine Alternative über den Wanderweg zu Großen Beerberg schlug ich kategorisch aus – nein, angesichts meines Hinterns (wenn der Schmerz zur Normailtät erklärt wird, wird alles gut) und meiner Beine wollte ich auf dem kürzesten und hoffentlich einigermassen schnellsten Wege gen Herberge. Wider Erwarten ging das auch gut, obwohl mir angesichts meiner Schneckengeschwindigkeit vs Endspurt meines Begleiters Windschattenfahren nicht vergönnt war. Und irgendwann die erlösenden Worte: am nächsten Abzweig nur noch 2km bergab. Und dann stand ich tatsächlich vor der Herberge „Zur Henne“ – ich war angekommen. Nach 95km und 2.000hm hatte ich es geschafft. Der Rest des Abends ist schnell erzählt, weil schnell vergangen. 2 Hefe und eine ordentliche Mahlzeit haben schon andere ausgeknockt. Selbst der Feierabendspaziergang durch den Ort wurde zum müden Gang nach Canossa. So früh sah mich ein Bett selten – aber ich schlief selig und glücklich den Schlaf der Gerechten.

Ilmquelle
Nächster Morgen: die Ilmquelle. Sie fließt…

Mit sehr beruhigter Stimmung angesichts der mir vorliegenden, meist bergab angesetzten Tour ging es am nächsten Morgen weiter. Zum Frühstück verspeisten wir dann mal eben den Finsterberg und setzen uns mit Nacktschneckenrutschpartien auseinander. Aber es geht ja nur bergab – is klar, ne! Und als bei meinem Begeleiter ausser der nichtgeölten Kette auch noch die Lufttechnik versagte, war die Stimmung am kippen. Aber als positiver Mensch lernt man ja mit so etwas umzugehen. Wir schlugen uns zur Ilmquelle – ja der wahren Quelle des Flusses – durch und ab da ging es immer schön an derselbigen entlang. Was für tolle Landschaften und Natur dort am Ursprung der menschlichen Siedlungen. Einfach toll.

Und die Strecke war auch super – es ging tatsächlich meist bergab, die Beine waren wieder fit, der Po nicht. Aber ich bemerkte, Aufstehen ist nicht gut, denn das Wieder-auf-den-Sattel-Setzen war einfach nur doof. Aber das hat jeder bis jetzt überstanden – ich beiss die Zähne zusammen. Nochmals versagte die Luft meines Begleiters und die Kette versprach einen spassigen Tag mit tollen Knackgeräuschen. Und dabei hing demselbigen Begleiter auch im Nacken, dass er evtl. durch diese technischen Zwangspausen von 2 Tourenradlerinnen eingeholt werden könnte, die nach uns aus dem Gasthof aufbrachen. Das wäre ja ein übler Kratzer in der Ehre gewesen! Das Luftsproblem lösten wir nach Einfuhr in Ilmenau an der Tankstelle. Dann ging es weiter am schönen Ilmradweg.

Ilmtal
…durch traumhafte Wiesen und…
Ilmtal
…später durch verträumte Dörfer in schönen Tälern; …

Die Anzahl der schönen Landschaften stieg an und das Auge hatte was zu entdecken. Aber leider stieg exponential die Anzahl der Touris mit miesepetrigen Gesichtsausdrücken. Mein Plan, jedem mir entgegenkommenden und überholtem – ja ich war mal schneller als manch andere – freundlich zu grüßen, gab ich nach 2h auf. Wieso können Menschen beim Sporteln so wenig Spass haben?! Nach immer mehr angstrengenden Knackgeräuschen der Begleiter-Kette griff ich zum extremsten Mittel – und opferte meine Gesäßcreme zugunsten des ruhigen Genusses und zur Abwendung beziehungsbeinflussender negativer Stimmungen. Und es half – die Kette blieb ruhig, es konnte weiter gehen an der schönen Ilm. Dann war es auf einmal schon nach Mittag – der Magen meldete sich, die Beine blieben ruhig. Ein gutes Zeichen. Hier im schönen Osten hatte nur noch niemand die kommerziellen Möglichkeiten von Leistungspsortlerverpflegung erkannt und ein nette Stätte der Speisung solchiger eröffnet. Da ich aber nahe an heimatlichen Gefilden war, konnte ich meine lokalen Scoutkenntnisse einwerfen und ein nettes kleines Restaurant mit Radlsichtparkerei finden.

Nun hatte ich Oberwasser, denn ich kannte die Entfernung nach Weimar und zu unserem Zielpunkt und trat -fröhlich aus Kindertagen erzählend- weiter in die Pedale. Das Wetter spielte mit, aber gut gemeinte Ratschläge an sommersprossige, rothaarige sonnensensible Haut, die Ärmlinge überzuziehen wurden ignoriert und am nächsten Tag mit dem Ergebnis gehadert. Wir näherten uns Weimar. Die Kette bekam noch 2x Gesäßcreme geschmiert und auch sonst lief alles nach Plan. Wir erreichten Weimar ungestört und mit diversen netten Sozialstudien bereichert angesichts des Publikumverkehrs auf dem Radweg. Nach Weimar wurde ein leises „Mama“ einfach ignoriert und es ging die letzten 7km ans Ziel. Da war ich aber auch schon sehr froh, dass die Kirche des Dorfes so gross und weit zu sehen war. Juhu – ich hatte es fast geschafft. Der letzte Hügel erschien mir unterbittlich steil – aber das kleine Kettenblatt ignorierte ich geflissentlich. Und dann waren wir da. Das erste Weißbier war isotonisch – danach keine Ahnung. Aber ich weiß jetzt, wie sich knapp 200km mit 2.700Hm anfühlen und was für ein tolles Gefühl das ist. Die Natur hautnah zu erleben, an seine eigenen Leistungsgrenzen heranzukommen und doch geht es immer weiter. Und wie toll Biken ist. Wann kommt die nächste Tour? Ich kann es kaum erwarten. Gretli


…sie wird gequert von alten Triebwagen…


…und etwas surrealem neumodischem ICE-Gedöns.

PS: Den Stein habe ich dann nach 195km und 2.700hm am nächsten Tag wieder in den Garten geschmissen – auch schön…

yo gomez

5 Kommentare

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  • Großes Kino, besonders die Beschreibung des koffeinhaltigen Warmgetränkes. Ich werde den Text meine Frau unters Kopfkissen legen, vielleicht erkennt sie die Zeichen…

    Twobeers

  • Gratulation zum ersten Bericht auf der ESK-Homepage, liebe „Begleiterin“. 🙂 Und ich darf sagen, dass er dir voll gelungen ist!
    DIe zweite Gratulation bekommst du für die erste zweitägige Tour deines Lebens – wir alle wissen jetzt ja, dass der Rennsteig nichts für Weicheier ist und können Deine Leistung deshalb gut einschätzen! Zum Schluss noch vielen Dank für denn Tipp, die Kette einfach mal mit Gesäßcreme zu schmieren. Ich werde demnächst mal umgekehrt mein Sitzfleisch mit Kettenöl einreiben und berichten, ob der Tausch auch in die andere Richtung sinnvoll ist!

  • Klingt mir nach eine strammen Tour und viel Spass, da war ja unser gemeinsamer Ritt zum Inselberg nur ein Appetitanreger dagegen;) Schöner Bericht!

    Allerdings zu diesem braune Getränk *schüttel* Kaffee zu sagen, wäre mir schwer über die Lippen gekommen…

  • Meine Herren (…und Damen natürlich auch), welch ein Talent. Danke für diese feine Zustandsbeschreibung des „Unterwegs auf zwei Rädern Seins“.

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