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Von Unlust und Lust.

Einige Tage nach dem letztjährigen Erbeskopfmarathon hatte ich nicht wenig Lust, ein zweites Mal auf der 110km-Langstecke an den Start zu gehen. Auch wenn dieser in seiner Klasse als einer der härtesten gilt, war es doch ein tolles Erlebnis. So meldete ich mich rechtzeitig an und buchte die Zugfahrkarten nach Frankfurt/M. Doch je näher der Termin für 2009 kam, desto weniger Lust verspührte ich. Die Erinnerungen an diese lange Strecke, die zahllosen steilen Anstiege und die nagten in mir. Meine körperliche Fitness verdiente den Ausdruck nicht und ließ mich schaudern. Doch es half alles nichts, ich machte mich auf den Weg nach Frankfurt. Erschreckenderweise konkretisierten sich die Wettervorhersagen bezüglich Starkregens am Rennvormittag. Meine Lust sank auf ein Minimalwert der sich Null zu nähern schien.

Auf dem Weg von Frankfurt in den nach Thalfang am sehr frühen Morgen des Rennens fing es leicht an zu regnen, doller an zu regnen, an zu schütten und zu pläddern. Im Ort angelangt nieselte es noch. Als ich mich um kurz vor 0900 an den Start begab, hörte der Regen auf. Dennoch: die Unlust mich in die folgenden Qualen zu stürzen wie kopfüber vom 10-Meter-Turm erdrückten mich einer luftlosen Glocke gleich. Was sollte das? Warum musste ich hier losfahren, wo ich doch garkeine Lust hatte? Es zwingt mich doch keiner. Schlechtes Wetter, schlechte Stimmung, schlechte Kondition, schlechte Voraussetzungen. Der Startschuss fiel.

Ich blättere etwas schneller in meinem Kopf, denn soviel Rennpalaver will ja keiner lesen.
Also bis Kilometer 40 verspürte ich totale Unlust. Dieser erste Teil vom Erbeskopfmarathon hats insich, saugt einem schon alle Kräfte aus dem gemarterten Körper, bevor es erst richtig losging. Der Untergrund war stellenweise extrem matschig, ständig musste ich mir Dreck aus den Augen puhlen, es ging nur schwer voran. Ich hatte auch einen Platten nach einem Durchschlag vorne, der aber erst 15km nach dem Ereignis das mich beinahe aus dem Sattel gerissen hätte, zu Tage kam (immer doof, wenn im Downhill alle! so langsam sind und man von dem Singletrail abweichend im Unterholz überholen muss und dabei die Starrgabel über dicke Steine poltert).

In der Mitte des Rennens ging es ganz gut, ich fuhr einfach. Man kann kaum von Lust oder Unlust sprechen. Ich war wie eine Maschine. Am Verpflegungspunkt 4 kurz hinter dem , dem höchsten Punkt des Rennens, traf ich ein zweites Mal auf Darki und Freundin. Beide fuhren dieses Jahr in Eintracht die mittlere 65km-Strecke, für sie ein absolutes Novum. Ich freute mich, zum ersten Mal in diesem Rennen, und auch die beiden waren gut drauf:

So langsam bekam ich etwas Lust, aber nicht wirklich gute Laune. Ich hatte noch immer den Gedanken, dass irgendwann der Mann mit dem Hammer kommt. Eine Ahnung wie weit es noch sein mag hatte ich zu keinem Zeitpunkt, so ohne Plan und Radcomputer. Aber als ich zur Verpflegungstelle 5 kam wusste ich, dass es nicht mehr so weit sein kann. Ich ließ die Verpflegung aus und ging in den folgenden Anstieg. Vor mir eine Gruppe Holländer, darunter eine Frau, die mir schon am Rennbeginn auffiel, da sie a) eine Frau war (3 von 250 Sartern?) und b) total schnell an mir vorbeihuschte Richtung vorne. Holländer waren insgesamt viele dabei, auf der vielleicht 2/3 aller Starter, weil der Erbeskopf ein Teil einer holländischen Rennserie ist.

Ich pirschte mich an die Gruppe langstreckenfahrender Holländer heran und merkte plötzlich, wie im Anstieg meine beiden Oberschenkel zumachten. Noch nicht ganz ein Krampf, aber fast. Ich nahm etwas Tempo raus, sofern das mit meiner Übersetzung möglich war. Von nun an fuhr ich die letzten 30km immer am Rande des Krampfes in beiden Beinen. Meine Lust schwand abermals. Sicher würde der Mann mit dem Hammer kommen, aber wann?

Krämpfe hin oder her, ich konnte bergauf nicht anders als mit fettem Druck aufm Pedal zu fahren. An einem steilen fiesen Anstieg später traf ich wieder auf die Holländer, die hinter ein paar Fahrern der Mittelstrecke hingen und nicht vorbei konnten, weil der steile Pfad schlammig und seitlich des Weges nur Gras, Steine und Scheiße waren. Meine Chance, dachte ich. Ich blendete den Mann mit dem Hammer aus uns sagte mir: wenn ich hier auch dahinter bleibe, dann komm ich nie nach vorne, das ist beste Chance. Also wie ne Dampflock keuchend an der ganzen Schlange vorbeigetreten. Der Kraftaufwand abseits des Weges war enorm. Ob das klug war? Vielleicht wartete hinter der nächsten Kurve der Mann mit diesem Dingensda in der Hand.

Ich sah die Gruppe Holländer nicht wieder. Es folgten Anstieg um Anstieg, unterbrochen von kurzen Abfahrten, oft fiese Wurzelpfade. Der letzte Teil des Rennens ist nochmal so fies wie der erste, nur ist man schon total platt. Ich kümmerte mich nicht mehr drum. Jeden Ansteig auf den 30km fuhr ich als wär es der letzte. Verpflegungspunkt 6, nurnoch 12km ins Ziel. Würde ich es schaffen? Wie könnte ich einen Krankenwagen rufen, wenn mich der Hammer von Rad pflückt und ich im Wald verenden würde, ging es mir durch den Kopf.

Ich fuhr wie ohne Besinnung. Hätte ich Fühlen können, ich hätte meinen können, es hätte Spass gemacht. Am drittletzten Anstieg vor mir wieder zwei Holländer. Einen kannte ich schon vom Rennverlauf. Am Anfang der Rampe musste man schieben, dann wieder aufs Rad und ran an die beiden. Ich überholte sie mit dickem Tritt. Dieser Anstieg hatte es richtig in sich. Eigentlich schlimmer als der folgende Anstieg, aber der Folgende hatte so einen schönen fiesen Namen: Immerter Qual. Und wieder zwei weitere Holländer vor mir. Hört das denn nie auf? Mit einem von den beiden duellierte ich mich schon fast das ganze Rennen. Jetzt hab ich ihn mir für die Immerter Qual zurechtgelegt.

Die Immerter Qual bei Kilometer 100 hat schon vielen das Genick gebrochen. Auch wenn meine Oberschenkel dick waren, ich konnte doch ganz gut abwechselnd stehend und sitzend die Krämpfe vermeiden und kassierte beide Holländer nacheinander schon am Fuße des Anstiegs. Was für eine Motivation! Letztes Jahr fuhr ich das Ende des Rennens kilometerlang alleine, hier gab es immer wieder Stimmungsaufheller. Oben angelangt schlug mir der Südwestwind ins Gesicht. Kurz umgedreht: ich hatte sie abgehängt. Nun nicht nachlassen. Treten. Treten. Treten. In dem Ort Immert gings links rechts. Und siehe da: Am Ortsausgang hatte ich 100 Meter vor mir wieder zwei Vorausfahrer.

Ich dachte garnicht daran, sie noch einholen zu können und guckte eher nach hinten, da war ich am letzten kurzen Anstieg auf einem Teerweg am Ersten schon dran. Ich stampfte meinen Gang hinauf, er kurbelte aufm kleinen Blatt. Kein Wunder, dass ich ihn überholte. Nun noch einer vor mir. Kurz nach einer kleinen Brücke über ein Fahrstraße war ich an dem Zweiten dran. Fünf Sekunden im Windschatten und ich ging vorbei und trat, trat, trat. Das machte Spass. Ich überholte noch schnell drei von der Mittelstrecke und brachte so Abstand zwischen ihn und mir. Nun ging es schon durch Thalfang, nochmal übern Acker bergab und dann in den Start-Ziel-Bereich für die letzten Meter. Treten, treten, treten. Ich kam im Ziel an! Den Mann mit dem Hammer musste ich abgehängt haben. Was für ein Finish. Auf den letzten Kilometern noch sechs Fahrer der Langstrecke überholt. Das hat Lust gemacht.

Im Ziel traf ich sogleich auf Darki und Freudin. Sie waren kurz zuvor von der Mittelstrecke eingetroffen.
Dieses Jahr war der Erbeskopfmarathon ein echtes Grenzerlebnis. Platz 63 von knapp 250 Startern, naja, Zahlen halt. Ich hätte aber nicht gedacht, so gut ins Ziel zu kommen. Es war eine tolle persönlich Erfahrung, eine Grenz-ErFahrung. Bei meinem „Trainings“zustand und den Bodenverhältnissen waren die 110km und 3000hm zu einem echten Martyrium geworden. Grenzen sind nicht statisch. Sie können gedehnt werden, erweitert, nicht besiegbar aber flexibel. Mein Körper hat mitgemacht und mein Geist blieb zum Glück offline. Ein grandioses Rennen.

Nächstes Jahr bin ich wieder dabei, sicher, und mit voller Lust, glaube ich.

8 Kommentare

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  • Ziemlich treffende Umschreibung des ganzen, da weiß ich doch jetzt schon, worauf ich mich ein Jahr freue…

  • Das aus deinen alten müden Knochen noch soviel Saft spriest, hätte ich nicht für möglich gehalten. Respekt! Grandioser Bericht und grandioses Rennen – Das Holländer überholen Spaß machen kann, war mir bisher noch nie so untergekommen. Sie nerven sonst eher mit ihren Wohnwagen…

  • Rob! Was für ein feuriger Bericht! Ich kann die Stimmungsschwankungen derartig gut nachvollziehen. Geht mir auch oft so. Aber trotzdem – dass Du nen zähes Stück Rindsleder bist war vorher schon klar, aber dass Du deinem Schweinhund so hart die Fresse polieren kannst, dass finde ich beeindruckend. Klasse Bericht – danke… v.d.m.

  • Aber die Wohnwagen stehen zum Glück selten mitten im Wald…

    Ansonsten kann ich auch nur sagen, sehr schöner Bericht und herzlichen Glückwunsch zur wiedergefundenen Lust. Es ist dies wohl der ewige Kampf, den nur die Großen unter uns gewinnen.
    Gruß stw

  • Ohne jetzt alles gelesen zu haben, hört es sich für mich so an, als hättest Du ein Problem mit der Lust. Eingedenk der im Text reichlich vorhandenen Hölländer (so viele gibt es m.E. in ganz Hölland nicht), scheint außerdem noch eine Raum-Zeit-Anomalie vorgelegen zu haben. Trotzdem schön, Dein Geschwafel zu lesen (…zu hören bist Du ja in letzter Zeit eher selten).

  • pah, den stiefel ziehe ich mir jetzt aber nicht an. vor einer woche noch saßen wir zusammen beim bier.

    menis, ‚dem schweinehund die fresse polieren‘ – haha, danke!

    rb

  • Jockel, der aufmerksame Leser hätte festgestellt, dass die ganzen Holländer garnicht in Holland waren! Das ist ja das Problem – die sind im Wald mit dem Rad, oder af der Bahn mit dem Hänger, nur eben nicht zuhause… menis

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