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L´Eroica 2008 – Interview mit Robert Stelzenacker – Teil I

IRN . Auch Robert Stelzenacker, jüngstes Mitglied der deutschen Delegation bei der L'Eroica 2008, wurde vom IRN in Gestalt von Didi A. Senftenberg einige Tage nach dem Rennen ausführlich befragt. Neben seinen persönlichen Erfahrungen stand hierbei vor allem das Rätsel um sein frühes Scheitern im Rennen und die andauernden Spekulationen darüber im Vordergrund.


Die Sonne durchbricht die morgendliche Kälte.

IRN: Herr Stelzenacker, ich grüße Sie sehr herzlich und bedanke mich, dass Sie unserer Einladung nachgekommen sind. Ich…

Stelzenacker: Stelze!

IRN: Bitte?

Stelzenacker: Sie können ruhig Stelze zu mir sagen. Und wollten Sie nicht Getränke ordern? Ich nehme ein kühles Blondes. Dieser die ganze Zeit in Italien. Mich schüttelt es jetzt beim Gedanken daran.

IRN: Kommt sofort. Haben Sie denn während des Rennens auch keinen Chianti getrunken, so wie wir es von Staub erfahren haben?

Stelze: Doch doch, aber in Maßen. Nur zwei kleine Gläser pro Verpflegung. Aber nach einigen Tagen Pelzgeschmack im Mund, freut man sich in der Heimat wieder auf ein wohlgezapftes Pils, das können Sie mir glauben!

IRN: Herr Stelze, wir sehen hier Ihr vom itlalienischen Traditionshersteller Somec gesponsertes Rad. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?


Stelzenckers italienische Rennmaschine Marke Somec.

Stelze: Gesponsert bin ich nun wirklich nicht, schon garnicht von Somec, diesen alten Schnarchnasen. Das habe in Eigenregie erworben. Ich würde auch gerne, wie Kemper, mit einem deutschen Radhersteller zusammenarbeiten. Aber da muss ich mir die Sporen wohl erst noch verdienen. Vielleicht schaffe ich es, den Solinger Fahrradfabrikanten Schauff von einer Zusammenarbeit zu begeistern.
Doch das Somec hat mich jedenfalls nicht enttäuscht.

IRN: Kommen wir zum Rennen selber, Stelze. Sie waren zum ersten Mal bei der L'Eroica am Start. Wie ist rückblickend Ihr Eindruck?

Stelze: Machen wir ein Interview oder soll ich Ihnen einen Roman diktieren?

IRN: Wie bitte?

(Anmerkung der Redaktion: Stelze schaut, Senftenberg missachtend, in Richtung Bar.)

Stelze: Nur weil Sie mit in Italien waren, uns den ganzen Tag in die Hacken getreten sind, müssen Sie nicht denken, dass Sie jetzt…

IRN: Ihr Getränk!

Stelze: Ah gut.
Nun mein erster Eindruck, dass ich noch lebe, war bei Kilometer 50, als ich mir an der ersten Verpflegungsstation mit heißem Tee die Lippen verbrüht habe. Mal im ernst, an den Start kann ich mich noch entsinnen, an die anderthalb Stunden danach nur in Teilen. Sie haben ja schon von Siggi und Dieter geschildert bekommen, wie unermesslich kalt es war. Meist konnte man bergab garnicht mehr bremsen, weil die Hände eingefrohren waren, jedes Stückchen bergan wurde von den Rennfahrern in der dunklen Nacht bejubelt. Ich jedoch wusste: Wenn es hier bergan geht, dann geht es dort hinten wieder bergab. Und das würde uns dem Kältetod nur noch näher bringen.

IRN: Wir haben hier einige Lichtbilddokumente, die sie unterwegs aufgenommen haben:


S. Staub und D. Kemper am Start in Gaiole.

Stelze: Jawohl. Ich hatte eine kleine Handkamera in der Trikottasche. Dieses Bild ist direkt am Start entstanden. Siggi und Dieter waren schon dort halb erfrohren, weil die beiden verrückten Hunde auf der Fahrt zum Start keine lange Jacke anhatten.

IRN: Man sieht in ihren Augen, wie ihre Sinne von der Kälte vernebelt scheinen und blinde, fast animalische Gewalt ihr Gesicht zeichnet.

Stelze: Mhhh, ja.

IRN: Nicht?

Stelze: Jaja, die beiden waren wie von Sinnen. Aber ich glaube kaum, dass Sie das nachempfinden könnten.

IRN: Danke.

Stelze: Ich hatte die Kamera wie gesagt in meiner Trikottasche. Und trotz halb abgefrohrener Finger und zitternd vor Kälte bin ich einmal aus unserer Gruppe, ausgescheert und habe in Mitten der Dunkelheit auf kurvenreicher Straße aufrecht fahrend ein Photo meiner beiden Mitfahrer geschossen.

IRN: Wir sehen es hier:

Stelze: Man sieht gut, wie Kemper starr vor Kälte mit frostigem Blick auf seinem Eisenschemel sitzt, die Hände steif verkramft, unfähig den Lenker zu halten. So ging es uns auch, aber Kemper war von der eisigen Kälte am meisten mitgenommen. Wir dachten jederzeit, er würde bewusstlos vom Rad kippen.
Wir kamen in die Hügel am Rande Sienas und Kemper erlangte so langsam sein Bewusstsein wieder. Es dämmerte nun schon ganz leicht und Dieter wiess mich auf den Blick nach rechts auf die Altstadt hin. Ansonsten fuhren wir wie in Trance, wie in einem Tunnel. Es kamen auch schon erste Schotterpassagen noch im Dunklen. Ich stürzte mich hinab, ohne etwas zu sehen. Dies war wohl auch der Grund dafür, warum ich kurz später platt fuhr.


Siggi Staub und der Blick in die frühe Dämmerung.

IRN: Ich wollte auf die Sache mit dem Platten…

Stelze: Bitte lassen Sie mich ausreden.
Als ich den Defekt bemerkte, wies ich Staub und Kemper sofort an, weiterzufahren. Es stand außer Frage, dass die beiden nicht warten hätten können, bis ich mit gefrohrenen Fingern meinen Schlauch gewechselt gehabt hätte. Wir sind vorher wie die Irren auf Kleinhirn gefahren und haben viele Plätze gut gemacht. Diesen Vorsprung einzubüßen, wäre unverantwortlich gewesen. Ich wusste, dass Kemper und Staub besser drauf waren als ich, was das Durchstehen der 205 Kilometer anging, also sollten sie auch fahren!
Kurz später, ich hatte gerade das Rad ausgebaut und den Reifen abgezogen, kamen Turgau und der Amerikaner vorbei. Und jetzt muss ich Ihnen wirklich sagen, Senftenberg, da verstehe ich keinen Spass!

IRN: Bitte worum geht es?

Stelze: Turgau hat im Interview mit Ihnen behauptet, mich ruhend im Gras vorgefunden zu haben. Ich kann mir nicht vorstellen, wie mein Kumpel – oder soll ich ehemaliger sagen? – dazu kommt, so eine infame Falschaussage zu treffen. Ich glaube, wir sind hier ein Intrige sondersgleichen auf der Spur. Ungeheuer!
Ich stand am Straßenrand, habe meine Finger versucht aufzutauen und den Schlauch begutachtet, als die beiden vorbeikamen, sich nach meinem Befinden erkundeten, und dann weiterfuhren, als ich ihnen zu verstehen gab, dass ich den Defekt alleine beheben kann. Und jetzt kommt das, was mich schon im Rennen hätte richtig stutzig machen sollen. Als die beiden etwa 50 Meter weitergefahren fahren, hörte ich, wie Turgau zum Amerikaner rief: „Den ersten haben wir schon!“. Ich habe das in dem Moment als Scherz verstanden, auch wenn er nicht gut platziert war. Aber glauben sie mir. Das war bitterer Ernst, davon bin ich überzeugt!

IRN: Wie kommen Sie zu dieser Ansicht, zu dieser Beschuldigung des eigenen Mannschaftsfahrers? Hat es etwas mit der Sache mit den offenen Schlauchventilen zu tun?

Stelze: Genau! Wie Staub schon berichtete, hatten Kemper und Staub noch am Rennmorgen bemerkt, wie wohl ihre Ventile manipuliert worden. Zu der Zeit war ich wohl gerade mit der Morgenhygiene beschäftigt und nachher war es so stressig, dass sie nicht mehr daran dachten, mich zu fragen, ob ich das selbe Problem hätte.

IRN: Was passierte dann im Rennen, als sie platt fuhren?

Stelze: Das war alles sehr unglücklich. Aufgrund des manipulierten Ventiles verlor ich gut eine halbe Stunde an Zeit, wenn nicht gar mehr!
Wissen Sie, ich hatte einen tadellosen Ersatzschlauch dabei, dennoch traf ich die dumme Entscheidung, den defekten Schlauch zu flicken, anstatt den neuen zu nehmen. In Situationen extremer körperlicher Herausforderungen und geistiger Abwesenheit, trifft man oftmals späterhin unverständliche Entscheidungen. Ich dachte mir, meinen Ersatzschlauch lieber aufzusparen, falls ich zum Ende des Rennens hin noch einen Platten haben sollte. Ich hatte halt nicht die pannensichersten Reifen und sagte mir: Stelze, wenn du nach 180 Kilometern total durch bist und dann platt fahren solltest, dann wirst du froh sein nicht flicken zu müssen, sondern noch einen top Ersatzschlauch zu haben. Also flickte ich in der kalten Morgenluft.

Als ich den Schlauch dann geflickt und den Reifen wieder aufgepumpt hatte, ging beim Abziehen der Luftpumpe der Ventilkopf ab und die Luft entwich mit einem Schlag. Ich pumpte den Reifen dreimal hintereinander auf – immer wieder das selbe. Ich dachte ich werd verrückt! Beim vierten Mal nahm ich an, die Luft würde halten, schwang mich aufs Rad und fuhr los. Doch nach 10 Metern war der Reifen wieder platt. In dem Moment war ich ein gebrochener Mann.

IRN: Wie ging es weiter?

Stelze: Desillusioniert stieg ich vom Rad. Die ganze Zeit überholten mich Grüppchen von Rennfahrern, ich verlor die Rennpositionen im Minutentakt zu Dutzenden. Dennoch pumpte ich den Reifen nocheinmal auf. Zakk, wieder ging der Ventilkopf beim Abziehen der Pumpe ab. Doch ich wollte mich nicht vom Reifen geschlagen geben. Wenn ich zu dem Zeitpunkt gewusst hätte, dass das kein Zufall war, sondern wahrscheinlich eigene Mannschaftkameraden in diesen Defekt verwickelt waren, ich wäre wahrscheinlich druchgedreht und die restlichen 150km wie angeschossen mit platten Vorderrad hinter den Saboteuren hergejagt.
So schaffte ich es jedoch wieder im dritten Versuch, den Reifen vollständig aufzupumpen und fuhr abermals an.

IRN: Die erste Verplfegungssation muss nicht weit weg gewesen sein zu dem Zeitpunkt.

Stelze: Halten Sie sich fest! Nur einen Kilometer weiter merkte ich, wie der Reifen wieder Luft verlor! Ich war außer mir! Nur eine Sache hat mich in diesem Moment gerettet: die Sonne! Auf einer kleinen Kuppe dieser Schotterstraße kam in genau dem Moment die Sonne hinter dem Horizonz hervor. Ich lehnte das Somec an die Zypresse, die auf dieser Kuppe am Straßenrand stand und starrte in diese ersten morgendlichen Sonnenstrahlen, welche gerade nur knapp diese Anhöhe erleuchteten. Dann schöpfte ich neue Kraft. Nun wechselte ich den Schlauch, ich nahm den Ersatzschlauch. Hier war das Ventil in Ordnung, sodass ich nach nur ein paar Minuten weiterfahren konnte und wenig später die erste Verpflegung erreichte.

IRN: Wir haben hier eine Lichtbildaufnahme von diesem besagten Moment des Sonnenaufgangs:

Stelze: Ich habe einen solchen Moment noch nie erlebt. Neben mir hielt, als ich gerade wieder loswollte, ein Italiener der auch platt gefahren war. ich gab ihm meine Reifenheber, da er keine hatte. Dann dachte ich an Staub und Kemper und natürlich an Turgau und den Amerikaner. Siggi und Dieter waren außer Reichweite, doch ich hatte den Entschluss gefasst, die anderen beiden unbedingt noch einzuholen, und wenn es bei Kilometer 204 sein sollte.
An der Verpfelgung verbrühte ich mir wie gesagt meine Zunge mit Tee und füllte meinen knurrenden Magen mit allerlei schmackhaften Spezialitäten. Besonders angetan hatte es mir dabei das in Rotwein getränkte und mit Zucker bestreuselte Weißbrot. Doch ich wusste, ich dürfte mich nicht zu lange aufhalten. Meine Füße waren noch steif gefrohren und ich wollte zurück aufs Rad, zurück auf die Piste.

IRN: Wie war den die Stimmung an dieser ersten Verpfle…

Stelze: Ich sagte, ich wollte zurück auf die Piste, Senftenberg!

IRN: Ähhm.

Stelze: Die Geschichte geht weiter. Jetzt kommt nämlich der Moment, der jedem normalen Rennfahrer das Genick gebrochen hätte!

IRN: Sind sie etwa gestürzt?

Stelze: Wenn man so will, bin ich gestürtzt, ja. Aber nicht in echt, eher im Geiste.

IRN: Wie meinen Sie das?

Stelze: Wenn Sie mich ausreden lassen, würde ich es ja erzählen.

IRN: Ja gut.

Stelze: Nur 2 Kilometer hinter der Verpflegung fuhr ich abermals platt!

Ich stellte geistesabwesend das Rad kopfüber an den Straßenrand und verabschiedete mich von diesem Rennen, diesem Leben. Wissen Sie, was einem da durch den Kopf geht? Nein, Sie können das ja nicht wissen. Ich sage es Ihnen: Ich war total am Boden, meine Motivation tropfte auf den Schotter und versickerte im staubigen Grund. Ich wusste, dass ich nicht die pannensichersten Reifen hatte und das mich Kemper vor dem Rennen warnte. Und nun hatte ich nach gerade mal etwa 5 oder knapp 10 Kilometern Schotterpiste von insgesamt über 100 Kilometern Schotter schon zwei Platten, meinen Ersatzschlauch verbraten und nurnoch den alten mit defektem Ventil einstecken. Ich dachte an die kommenden 150 Kilometer und wie oft ich noch anhalten und Flicken müsste. Ich dachte sogar an Aufgeben und das ich nie in Gaiole ankommen würde.

IRN: Ohne den Rennausgang vorweg zu nehmen, denn Sie…

Stelze: Herr Senftenberg, ich unterbreche Sie nur zu gerne. Ich denke, eine Pause würde uns beiden ganz gut tun. Mein Glas ist schon seit 10 Minuten leer und habe mir den Mund fusselig geredet. Ich schlage vor, zu einem späteren Zeitpunkt das Interview fortzuführen.

IRN: Aber auch den Vorfall mit den Ventilen, Turgau und dem Italiener Lorenzo haben wir doch noch nicht klären können, Stelze. Bitte bleiben Sie doch noch einen Moment sitzen.

Stelze: Ich muss los, Senftenberg. Sie wissen ja, wie sich mich erreichen können: schwer. Schönen Tag noch.


Kontahenten überholen den vom Schlauchdefekt verfteufelten Stelzenacker zu Hauf.

Didi A. Senftenberg für © IRN Berlin (Investigated Racing News Berlin)

4 Kommentare

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  • Man Stelze,
    du hättest noch das eine oder andere Bierchen von Senftenberg nehmen sollen…du kannst doch jetzt nicht einfach abhauen. Mehr!

  • Ach Stelze,

    mein Interview hat ein gewisser H. Wattebausch mit mir geführt. Der Amerikaner ist Engländer und das Reifenmaterial war von Anfang an nicht geeignet. Zu den anderen Spekulationen bitte ich die Untersuchungen der Kommisäre abzuwarten, ich beteuere abermals meine Unschuld.

    Maulpelz nach Chiantikonsum kommt mir bekannt vor!

    Dein Didi vom Main

  • Ich habe hier einen leisen Verdacht, was die mysteriösen Ventilvorfälle angeht. Im Interview lässt mich der Punkt Morgenhygiene im Zusammenhang mit Stelze etwas stutzen. Vielleicht rückt ja der Stelze auch nicht mit der ganzen Wahrheit raus. Aber vielleicht gelingt es IRN hier für Aufklärung zu sorgen.

    In froher Erwartung weiterer spannender Interview und Berichte

    Ritzelflitzer

  • Sehr geehrte Damen und Herren!

    Es ist sehr bedauernswert, dass IRN anscheinend keine glückliche Hand hatte, was die Auswahl des Sportreporters angeht. Ich habe das Gefühl, dass der prasslige Senftenberg unvorbereitet , ja instinktlos in die Interviews mit der deutschen Auswahl ging.
    Allein solche Spekulationen auf den Rücktritt des Mannschaftskapitäns, erscheinen mir vollkommen haltlos und ungeheuerlich! Ich erwarte als sportbegeisterter Leser auch mehr Respekt vor den Sportlern und Verständnis für den heroischen Kampf der Mannen um Kemper gegen Kälte, Tücke und Gefahr!

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