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Biesenroder Platt

Platt, also die Kurzform für Sprachabarten oder Dialekte des Niededeutschen, also Platt sprechen die Einheimischen in Biesenrode nicht wirklich. Eher irgendeinen Kauderwelsch aus Anhaltinisch, Sächsisch, Thüringisch und ein bisschen Hochdeutsch – der Leser soll sich seinen eigenen Reim oder Unreim darauf machen, wie sich das anhört. Aber es geht hier ja nicht um linguistische Sonderheiten, sondern ums Radfahren. Da kann man auch hin und wieder platt sein. Also bildlich gesprochen meint das erledigt, geschafft, fertig, kaputt. Das passt schon eher. Speziell aufs Radfahren bezogen kann platt aber auch noch einen technischen Defekt umschreiben.

Am Samstag Nachmittag bin ich mit dem Connex-Schnellzug nach Leipzig geflogen und wurde am Bahnhof herzlich empfangen. Nach Essen fassen, reden und rauchen ging es dann in zwei Autos zu sechst nach Biesenrode. Das liegt im Mansfelder Land in der Nähe des Harzes. Oder besser gesagt in der Nähe des Harzrandes. Aber wie aus dem nichts taucht dort plötzlich das Tal des Flüsschens Wipper auf, dessen Flanken von dem ein oder anderen Höhenzug umrangt werden. Eine sehr gut für den Singlespeeder geeignte Strecke sei der Biesenroder Marathon, ließ Gerolf aus Leipzig verlauten. Na klingt doch vielversprochen. Auch ansonsten hat man schon einiges Gutes von Strecke und Atmosphäre aus Biesenrode gehört. Weit weg ist es ja auch nicht.

Also das Rad auf einen Gang upgegraded und mit einigen Leipzigern und Dresdnern ab dahin. Die halbe Mannschaft des BDO (Bike Department OST) hatte sich auf dem Zeltplatz am Rande des kleinen Ortes versammelt, es wurde bei recht schattigen Temperaturen gegrillt, getrunken und gequatscht bis in die Nacht. Am Tag vorher hatte es noch schön geregnet und auch in der Nacht kamen noch ein Paar Tropfen runter. Die Strecke sollte schön matschig werden.

Zusammen mit den Leipzigern und noch eins zwei anderen waren wir wohl sechs Singlespeeder unter den etwa 300 Teilnehmern. Bei den 54km starteten 115 Fahrer. Heiß wie selten bei meinem ersten MTB-Rennen seit einigen Jahren konnte ich die Spannung bis zum Startschuss doch ganz gut unterdrücken. Aber dann ging es los. Kurz durch den Ort und ran an den Berg.
Singlespeedtaugliche Strecken haben auch immer damit zu tun, dass es gut bergan geht. Denn nur dann kann man den Vorteil wirklich ausspielen. Nach den ersten beiden Anstiegen lag ich gut im Rennen, in Tuchfühlung zur Spitze. Doch auf einem leicht abschüssigen Schotterstück nahm ich einen Stein mit und am Hinterrad machte es PAFFF. Damit war alles gelaufen. Oder?

Im Vorhinein zwar Schlauch und Pumpe eingepackt, aber aus Zuversicht keinen Defekt zu erleiden den 6er-Inbus daheimgelassen, konnte ich mein Hinterrad nun nicht ausbauen. Am Rand der Strecke stehend sah ich zu wie Fahrer nach Fahrer an mir vorbeirauschten. Irgendwann bekam ich ein Tool zugesteckt und konnte mich ans Reparieren machen. Ich behielt das Tool und gab es erst nach dem Rennen zurück, was sich als notwendigerweise clever heraustellen sollte. Nachdem der Allerallerallerletzte an mir vorbeifuhr, hatte ich Platten repariert und den Schlitz in der Reifenkarkasse sogut es ging kaschiert.

Voll motiviert machte ich mich daran, das Feld von hinten aufzurollen. Das machte sogar richtig Spass. Am ersten richtig langen Anstieg flog ich förmlich an den langsameren Fahrern vorbei. Es lief gut und ich war zuversichtlich. Bis ich merkte, dass am letzten Anstieg der ersten Runde das Hinterrad weich wurde. Ich trat noch ein Paar mal rein und schon wikelte sich der Schlauch ums Ritzel. Wo kam der denn her? Da gehörte der definitiv nicht hin. Super – der zweite Platte und kein Flickzeug am Start. Alle zuvor Eingeholten überholten mich jetzt wieder. Leidvoll. Ich stellte das Rad auf den Kopf und frickelte den Schlauch aus dem Ritzel. Was sollte ich tun? Ohne Schlauch fuhr ich die letzten Kilometer der ersten Rennrunde zu Ende. Erst noch began (wobei ich sogar noch überbholen konnte, hehe) und dann den finalen Downhill: steil, matschig und bissig und das mit plattem Hinterrad. Jau, die Zuschauer am Streckenrand haben gejubelt.

Im Start-Ziel-Bereich bog ich zu unserem Zeltpatz ab. Die Frau eines BDO-Mitarbeiters verweilte mit Kind bei den Autos. Leider hatte sie weder Flickzeug noch Schlauch. Ich suchte in der Gegend, fragte Leute, rante rum – nischt zu machen. Dann doch noch die Schlüssel zu unserem Auto und damit das Flickzeug gefunden. Also ran als Flicken. Reifen und Felge waren vom Downhill total verschlammt, also erstmal zum Kärcher. Nach langer langer Zeit war das Bike wieder fahrbereit und ich motivierte mich damit, jetzt einfach nurnoch ne schöne Toru zu drehen. Die zweite Rennrunde quasi geschenkt.

Als wohl wieder Letzter der 54km ging ich auf die zweite Runde. Doch in den ersten Anstiegen konnte ich gleich andere Fahrer überholen, ob von der 54er oder der 81er Runde. Halbwegs gut gelaunt bewältigte ich den ersten ruppigen Downhill. Wenige Meter später, direkt auf einer kleinen Brücke, gab es eine lauten Schlag. PENG! Der dritte Plattfuss des Rennens. Ich stieg ab, liess das Rad mitten auf dem Weg liegen und stellte mich ans Geländer. Geistesabwesend und nach Fassung ringend starrte ich den plätschernden Bach, als ein Typ auf einem Squad, sonem komischen Vierrad-Motorrad, ankam. Der war vom Technik-Service und brachte mir nen neuen Reifen und neuen Schlauch. Toll! Aber was war geschehen?

Keine Ahnung warum, aber es hatte mir das Ventil des geflickten Schlauches abgerissen. Da der alte Reifen eh einen Riss hatte, nahm ich den neuen (Nobby Nic 1.8, perfekt für die schlammigen Verhältnisse) dankend an. Wir montieren Schlauch und Mantel und ab gings. Zum dritten Mal machte ich mich daran, die Allerallerallerletzten von hinten zu überholen. Langsam kannte ich die Trikots meiner Pappenheimer am Feldende. Nachdem ich zusammen mit den Vorderen der langen 81km-Distanz den ein und anderen Anstieg bezwang, kam ich geschafft und ausgepowert ins Ziel. Mit Platz 88 der 100 Finisher (von den 115 Gestarteten) auf der 54km-Distanz lag ich ja nicht so schlecht. Abzüglich meiner über 1h Verlust durch die drei Platten hätte ich jedoch sogar in die Top20 fahren können (nicht auszudenken, was wäre, würde ich mal öfter Radfahren…).

Aber es war trotz des vielen Pechs ein schöner Ausflug und ein super Rennen. Ich kann Biesenrode nur allen empfehlen. Professionell aber locker organisiert, an alles gedacht, kleine und nette Atmosphäre, super Strecke, technisch und konditionell anspruchsvoll und spannnend – einfach toll. Und da das Rennen ja als kleine Probe für den doppelt so langen und mehr als doppelt so höhenmeterträchtigen Ebertskopfmarathon dienen sollte, nehme ich mal folgende Weisheiten mit: ich muss noch fitter sein (Oh Gott, ein drei Wochen 110km und 3100hm, wie mache ich das? Staubi, was ist mit den polnischen Tropfen??), ich habe hoffentlich nicht 6 Platten, immer korrekt Werkzeug und Flickzeug dabei haben.

Ein Dank auch an die Leute vom BDO für Bier und Fleisch. Es war ein schöner Tripp! Und in drei Wochen am Ebertskopf hoffentlich mit weniger Platt…

rb

7 Kommentare

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  • Prof. Feldspat,

    ich hab mir schon Sorgen um Dich gemacht, nachdem ich zunächst nur die Ergebnisliste einsehen konnte…

    Es heißt im übrigen ERBESKOPF, ist die höchste Erhebung von Rheinland-Pfalz, zugleich höchster linksrheinischer Punkt auf deutschem Boden. Im Winter wird dort Ski gefahren (noch…) und das ganze liegt im Mittelgebirge Hunsrück auf 808m ü. NN. Nächste „größere“ Gemeinde ist Idar-Oberstein, blablabla…

    Schön gefightet Robsen, mit dem Kampfgeist packst Du auch den Marathon. Und nen neuen Reifen hast Du jetzt ja, oder? Achja, Schaltung würde ich ja wieder anbauen oder „downgraden“ wie Du es zu sagen pflegst.

    Freundliche Grüße
    Dr. Glimmer

  • Robsen – was für eine harte Geschichte! Nun möchte ich dir weniger das Lied der Fahrradpflege – und hege flöten, sondern mich eher auf folgende Aussage beziehen:

    Zitat Rob: „…(nicht auszudenken, was wäre, würde ich mal öfter Radfahren und weniger Drogen am Vorabend konsumieren…)!“

    Dazu kann ich nur eines sagen: Versuche das doch mal! Fahr mal mehr Rad und so. Du hast wirklich so großes Talent, bist leicht wie eine Feder, zäh wie ein Lederhandschuh und behende wie ein Marder (das bezieht sich auch auf das Unterschwanzklima)! Es wäre doch ein Jammer, wenn du dir nicht selbst eine Antwort auf deine Frage geben könntest – so als Selbstversuch, als Grenzerfahrung und eben aus Spaß. Los Rob – TopTen wartet. Lieben Gruß…v.d.m.

  • Rob kann es einfach nicht lassen. Längst vergangen geglaubte Singlespeedskills wie etwa: Rauchen, Saufen, kurz aber hart Rad fahren, gefolgt von tatenlosem Rumlungern kommen wieder zum Vorschein. Im Rückblick kommt dann auch wieder Bekanntes und tausendmal Geübtes in Form von“Was wäre gewesen wenn…?“ Um das rauszufinden, müsste man wohl oder übel das „Wenn“ mal machen. Einfach mal ausprobieren. Also ich glaube an Dich mein Freund.

    Es muss eine furchtbare Schlacht gewesen sein, dort am äußersten Ende des Feldes. Der üble Geruch und das Gegreine der Überrundeten, in den Ohren noch der Knall vom letzten Reifenplatzer. Tja, was wäre gewesen wenn…? Nicht auszudenken. Wahrscheinlich hätten Dich die Biesenroder auf Händen getragen und Dich zu ihrem neuen Bürgermeister auf Lebenszeit gemacht.

  • Robsen, auch ich glaube ja immer noch an Dich. Versuch es einfach mal mit einer Handschaltung nebst Zubehör und tausch Bier und Fleisch gegen Milch und Nudeln. Wenn wir beide dann noch zweimal die Woche durch die Heide ballern, sehe ich schon den neuen Stern in der Europäischen Radpsortszene leuchten: Rob, der Schlächter vom Erbeskopf!

  • Mal wieder ein feiner Bericht, Robsen! Zu Deinen bereits von menis aufgezählten Tugenden gehört wohl auch noch die Bissigkeit eines Bullterriers. Drei mal von hinten das Feld aufrollen – Respekt.

  • danke für eure charmanten worte. ich weiß sie zu schätzen, werde mich hier aber nicht zu irgendwelchen versprechungen hinreißen lassen 😉

    „Der üble Geruch und das Gegreine der Überrundeten“
    viel unangenehmer ist der geruch nach igrendwelchen ölen und cremes der profi- und semiprofifahrer. das motiviert erst recht, nicht an deren hinterrad zu kleben, sondern wenn möglich vorbeizuziehen.

    das in biesenrode war übriegens auch wegen der campingatmosphäre toll. und, dass man mal wieder neue, unbekannte ecken unserer schönen republik zu sehen bekommt. ich werde also auch in zukunft solch kleinen ereignissen nicht abgeneigt sein. schön mit zelt und grill. wenn sich da ein paar kaderisten finden würden, die auch ohne massage und nudelparty auskommen, wär das doch spitze.

    rob

    und achja, erbeskopf.

  • Rob!
    Lass Dir bloß nicht einreden, dass Defekte durch mangelnde Radpflege und Hege verursacht werden. Das ist falsch!
    Wie man Deinen spannenden Bericht entnehmen kann ist auch von großem Vorteil.
    Sonst hättest Du nur schreiben können: Dann war da der Startschuss, die einsame Strecke und das Siegerpodest…..

    Carl

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