Die offiziellen Berichte zur HEW Cyclassic 2005

von Ackebua

Glück oder nicht Glück, diese Frage stellte ich mir gerade durch die Wortgefechte der letzten Wochen immer häufiger, wenn ich an die letztjährigen HEW-Cyclassics dachte. Dieses Jahr mußten wir also beweisen, ob unsere Leistung im letzten Jahr gerechtfertigt war. Und um auch noch eine Steigerung in die Geschichte zu bringen, entschieden wir uns für die lange Strecke. Au Mann, das sollte ein ganzes Stück harter Arbeit werden.

Den Freitag und Sonnabend haben ja die anderen bereits ausführlich wiedergegeben, also belasse ich es hier mal nur bei meinen eigenen Erlebnissen des Sonntags:

Gegen 0715 stehen die 4 vom letzten Jahr – Husten, RiFLi, Menis, Acke – in der ersten Reihe des Startblockes A, und allmählich füllen sich die Reihen. Witzig, wir haben fast die niedrigsten Nummern, und alle scheinen dies auch wahrzunehmen. Wir ernten nur kühle und distanzierte Blicke, nur ein paar vereinzelte Beinglatzen lassen sich zu einem lockeren Smalltalk hinreißen. Dennoch scheinen hier ganz vorn alle etwas gelassener zu sein, letztes Jahr im F-Block war die Atmosphäre wesentlich angespannter. Gegen 0800 gibt der Offizielle die Strecke für uns frei und mehrere Hundert heiße Hunde machen sich auf den Weg. Die Geschwindigkeit ist entgegen meinen Erwartungen noch relativ entspannt, die ersten Straßen durch werden mit knapp 40 genommen, und alles fühlt sich recht entspannt an. Dennoch gibt es bereits in den ersten Minuten das typische Gerangel um die besten Plätze im Feld – keiner will am Ende fahren oder etwa an der Seite im Wind stehen.

Ich orientiere mich anfangs immer an Menis, doch es ist schwer, ständig Kontakt zu halten. Irgendwann zwischendurch höre ich Menis:“Komisch, so richtig Dampf machen die vorn aber nicht.“ Und da geht es auch schon los: Mit einem Mal kommt Bewegung ins Feld, die Pace schnellt auf knapp 50 hoch, ich muß schon ordentlich reinlatschen, um meinen Windschatten zu halten. Dann wieder unter 40. Es gibt immer öfter Attacken vorn, und das nach 20 oder 30 Km. Husten hält sich am Ende des Feldes auf, während Menis kurz vor mir zu sehen ist. RiFli bewegt sich auch mal vor, mal hinter oder mal neben mir. Man schafft es durch die Eigendynamik des Feldes nicht, beieinander zu bleiben. So wird einem bewußt, was es für eine harteArbeit sein muß, ein komplettes Team um einen Kapitän halten zu können – im TV sieht es immer so einfach aus.

Wir fahren durch verschiedene Dörfer, deren Namen ich mir nicht merken kann. Leicht wellig ist es schon, aber nicht fett genug, um unser Feld zu zerreißen. Wir nähern uns nach knappen 70 Km wieder Hamburg, und das Tempo ist seit den letzten 20 oder 30 Km extrem hoch geblieben. Meine Uhr zeigt ständig 42-48 Sachen an. Bei Km 90 soll dann die Köhlbrandbrücke kommen, in der Ferne ist sie schon auszumachen. Menis ist immer noch 5-10m vor mir, ich kann sein Eisenschwein auf dem Rücken stets gut sehen. Nur Husten habe ich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr wahrgenommen, obwohl ich einige Male fast am Ende des Feldes gewesen bin. Es geht eine leichte Linkskurve in Richtung Brückenauffahrt, als ich die fette Rampe auch schon sehen kann. RiFli ist gerade bei mir, und ich sage zu ihm:“Nur nicht überdrehen, es ist noch zu früh.“ Welch fataler Fehler, wie sich zeigen sollte.

RiFli und ich fahren relativ weit hinten im Feld die Brücke rauf, als kurz vor uns ein Loch reißt. Scheisze!!! Zwei oder drei Fahrer könenn nicht folgen, und wir müssen aus dem Windschatten raus, um den Anschluß nicht zu verpassen. Das war es, denke ich. 30m sind bereits zwischen uns und dem Feld, und wir keulen, was die Beine hergeben. Mit knapp 30 Sachen drücken wir die Köhlbrandbrücke hoch, doch der Abstand vergrößert sich leicht. Das kann doch nicht wahr sein. RiFli gibt vor mir alles, und oben am Scheitelpunkt sind wir ungefähr 8 Fahrer, die jetzt um ihr Leben fahren. RiFli schreit:“WIR MÜSSEN KREISELN!!!“ Er geht in den Wind, gleich wieder raus, dann der nächste. Als ich vorn bin, kann ich nur ein paar Kurbelumdrehungen durchhalten, die Beine brennen wie . Immer noch 30m – es wird nicht weniger! Die anderen unserer kleinen Gruppe sind nicht mehr im Stande zu führen, und ich drohe im Wind zu verhungern, als links einer vorprescht. RiFli hängt sich sofort rein und ruft mir zu:“LOS, LINKS RÜBER UND REIN!“ Ich rette mich in den Windschatten und bücke mich, so tief ich kann. Es schien wie eine halbe Ewigkeit, als wir endlich wieder ans Feld ranfahren. Die ganze Aktion hat bestimmt 10min gedauert und eine Menge Saft aus den Beinen gezogen. Dazu kommt der Gedanke, daß ich mich auch jetzt kurz vor Ende der 100er Runde nicht ausruhen kann, denn das Tempo wird extrem hochgehalten.

Irgendwann sehe ich die Schilder „Streckenteilung 100Km/155Km“ und wundere mich, daß nur ein paar vereinzelte Fahrer auf das Ende der 100er Strecke gehen. Wir preschen weiter wie vom Teufel gejagt durch die Hamburger Innenstadt, und ich weiß, es werden jetzt noch ganz harte 55 Km. Das Feld, oder besser unsere erste Gruppe ist extrem geschrumft und zählt vielleicht noch 100 Mann. Gedanken jagen mir durch den Kopf: „Wenn ich hier dranbleiben kann, bin ich vielleicht unter den ersten 100“. Eigentlich kann ich mir zu diesem Zeitpunkt gar nicht vorstellen, daß wir die Spitzengruppe bilden, aber ich weiß auch, daß vorn keiner weggekommen ist, wir aber dafür Unmengen vom Fahrern nach hinten ausspucken konnten.

Wir jagen durch den Norden des Hamburger Umlandes, und ich mache mich schon jetzt auf die harte Prüfung in Blankenesegefaßt, wo die gefürchteten Anstiege kommen sollen. Eine andächtige Ruhe schleicht durch unsere Gruppe, es fallen kaum Worte. Das Tempo ist seit der Teilung der Strecken extrem hoch, wir fahren fast ausschließlich um die 45 Sachen. Es ist immer wieder da gleiche Spiel: Hohes Tempo, dann eine Kurve, Herunterbremsen auf 30 Km/h, vorn bereits wieder voller Antritt, das Feld wirkt wie eine Ziehharmonika, wieder aus dem Sattel und volle Bulette trampeln, 53 Sachen auf der Uhr, dann das Ganze wieder von vorn. Die vielen Kurven lassen die Anfahrt zum ersten Berg vermuten, und ich nehme als letzte Instanz meine mitgeführte Colaflaschen aus dem Trikot. Kaum habe ich ein paar gierige Schlucke genommen, ziehen sie vorn wieder maximal an, und ich kann den ersten Anstieg ausmachen. Schnell die Pulle nach rechts weggeworfen, aus dem Sattel raus und alle verbleibenden Körner auf die Pedale geknallt. RiFli ist genau neben mir, und ich kann in seinem schmerzverzerrten Gesicht sehen, daß es auch leidet. Es tut sermaßen weh, daß jede Sekunde überlege, einfach aufzuhören und abreißen zu lassen. Ich schaue nach vorn, sehe Menis 3 oder 4 m vor mir. Sehr gut. Dann wieder ein Blick zur Seite, RiFli ist nicht mehr da. Scheisze, hoffentlich kann er den Anschluß halten. Wir drücken wieder mit einem Höllenspeed über den Berg, dann die erlösende Abfahrt. Denkste! Runter wird weiter voll gelatscht, die Führenden wollen hinten Opfer sehen und sich potentieller Gegner im Zielsprint entledigen. Ich habe auf der Abfahrt wieder 5 oder 6 m abreißen lassen, und zum Glück schaffe ich es mit einem anderen Fahrer, wieder an die immer kleiner werdende Gruppe heranzufahren.

Wir sind untern angekommen, da kracht es genau vor mir in einer Linkskurve. 4 oder 5 Mann gehen zu Boden, es scheppert wie nach einem Bombeneinschlag – ein grausames Geräusch. Ich muß beinahe anhalten und kann mit einem gewagten Rechtsschlenker das Schhlimmste vermeiden. Jetzt heißt es für 10 oder 15 Leute voll reinhalten und Gruppe nicht verlieren. Als wir wieder dran sind, geht es den zweiten Stich hoch. Diesmal muß ich aufs 39er schalten, da die Rampe etwas fieser aussieht. Dennoch sehe ich mindestens eine 25 auf der Uhr, ich kann aber diesmal etwas nach vorn fahren und lasse dabei ein paar Fahrer hinter mir, die oben vor der Abfahrt dann abreißen lassen müssen. Sehr gut,jetzt noch einletzter Hügel, wenn ich den schaffe, sind wir duch! Ein paar Schlenker links und rechts, dann geht es in einem weiten Bogen auf die letzte Rampe, die etwas flacher, aber dafür länger scheint. Hier gebe ich alles, kann Menis noch ausmachen und orientiere mich immer wieder an den gleichen Fahrern. Als wir oben ankommen, schaue ich mich kurz um und sehe, daß wir viele haben abhängen können, unser Grüppchen schmilzt immer weiter. Nur ist leider auch RiFli Opfer des ersten Stiches geworden. Mist!

Ich kann einen weißgelben Werbebogen ausmachen, der die Aufschrift „10 Km“ trägt. Die Erlösung naht, doch es sind noch ein paar ultraharte Km bis ins Ziel. Ich schaue alle 10 sec auf den Tacho, die Km scheinen überhaupt nicht zu vergehen. Mit jeden Km wird der Speed höher, auf den Geraden sehe ich fast immer eine 50 auf der Uhr, in den Kurven sind es immer noch 35. Dann der rote Lappen! Jetzt heißt es Zähne zusammenbeißen, und drücken, was die knallharten Beine noch hergeben. Die Zielgerade auf der Mönckebergstraße ist ganz leicht ansteigend, und trotzdem drücken wir mit 47 oder 48 Sachen in Richtung Ziel. Menis ist ein weiter vorn in der Gruppe, ich kann jeden einzelnen Fahrer bis aufs Messer kämpfen sehen. 50 m vor der Zielline kann ich noch 2 Mann überholen, und schon erscheint unter meinem Vorderrad der erlösende weiße Strich. Geschafft!

Mit trockenem Hals und völlig ausgebrannten Beinen lasse ich mich ausrollen und folge den anderen zur Transponderrückgabe, die jetzt noch relativ leer ist. Dann begebe ich mich direkt zu unsere ausgemachten Treffpunkt, wo ich zuerst auf Menis treffe. Wir fallen uns in die Arme und sind uns sofort einig: Uns kann keiner mehr etwas vormachen. Wir sind mit der Spitzengruppe, die vielleicht noch 60 oder 70 Mann zählte, mit einem wahnsinnigen 43er Schnitt auf der langen Runde reingekommen. Im Ernst, aber ich habe soetwas dieses Jahr nicht für möglich gehalten. Ganz großes Kino! Dann kommt auch schon RiFli, und später auch der Rest der tapferen Kaderschaft. Jedoch am meisten genieße ich in diesem Augenblick, daß auch meine Liebste mich in die Arme nimmt – Radrennen kann so schön sein.

Die Kulisse war überwältigend, kaum steigerungsfähig. Selbst an den 3 Anstiegen schien die Atmosphäre fast großartiger als in Alpe d´Huez oder Courchevel. Die Zuschauermassen auf der Zielgeraden bescherte mir eine derartige Gänsehaut, daß ich den Tränen nahe war. Eigentlich kann man dieses Gefühl nicht in Worte kleiden.

Ein fantastisches Wochenende wurde ebenso fantastisch gekrönt, und ich bin sogar einwenig stolz auf uns. Wir haben gezeigt, daß wir vorn mitfahren können, und in mir steigt die Gier nach mehr im nächsten Jahr. Ich denke, Rund um den Henninger Turm und die Mecklenburg-Rundfahrt wird wieder ganz oben auf meinem Programm stehen, und mit noch besserer Vorbereitung (!) hätte ich schon einmal Lust auf eine Top-Ten-Platzierung. Und wer weiß, vielleicht sehen wir uns auch in Hamburg wieder…

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