Die Leiden des (fast noch) jungen Nautilus

Schnell war Großbeeren passiert und auch Trebbin war fix erreicht. Ich war erstaunt über die Einsamkeit welche mich nach wie vor umgab. Alle 10 Minuten passierte mich mal ein motorbetriebenes Fahrzeug und das endlose Asphaltband führte mich durch herrliche, schattenspendende Wälder. Die traumhafte Landschaft um mich herum, die kleinen Hügel welche es immer wieder zu erklimmen galt und das fast hypnotische rasseln der Kette ließen mich eins werden mit meinem Tschechenblitz. Als ich endlich in Belzig ankam, wurde mir erst die größe meines Vorhabens und die dafür aüßerst dillethantische Planung bewusst. Schließlich hatte ich beim Blick auf meine Straßenkarte die Entfernung nach Belzig auf etwa 70km eingeschätzt. Die Anzeige meines Tachos sagte allerdings das ich bereits fast 100km in den Beinen hatte, als ich Belzig passierte. Die erste Pause wollte ich mir jedoch eigentlich erst nach dem Verlassen des Bundeslandes gönnen.

Also weiter treten und erst als ich dann kurz hinter dem netten Dörfchen Reetz die Landesgrenze passierte, ließ ich mich zu einer ersten Rast nieder. Der Tacho zeigte knapp 120km, der Magen wollte dringend Nachschub und der Durchschnitt war nach verhaltenem Start (schließlich sollte es ein langer Tag werden) grade eben über die 29km/h geklettert. Ich fand ich hatte mir die erste Rast nach ziemlich genau vier Stunden redlich verdient. Ich fand ein nettes Plätzchen im grünen, lies mich nieder und verdrückte das ein oder andere Brötchen.

Bei dieser Gelegenheit viel mir ein weiteres Versäumnis auf: keine Sonnencreme. Meine Arme zeigten bereits eine leicht rötliche Tönung und die Magdeburger Börde lag noch vor mir. Dort ist bekanntlich die Zuckerrübe der höchste Baum und ich wusste, dass Schatten absolut Mangelware sein würde. Der Himmel war makellos Blau und auch von dort war keine Hilfe zu erwarten. Aber es gab eben kein zurück.

Ich schwang mich also wieder in den Sattel und begab mich auf den Weg nach Zerbst. Von nun an dachte ich immer öfter an dass schreckliche Ende, welches noch auf mich wartet, den Aufstieg nach Braunlage. Also versuchte ich zwar möglichst zügig voran zu kommen aber eben auch noch die paar Körner zurückzuhalten, mit welchen ich dann den Hochharz erklimmen konnte. Der Durchschnitt pendelte sich bei 29,5km/h ein und ich war so richtig schön im „flow“. Zerbst wurde passiert und bei Tochheim hatte ich das Glück des Tüchtigen. Die Fähre über die Elbe war grade im Begriff abzulegen und ich konnte noch eben so aufspringen.

Auf der westlichen Elbseite angelangt, war ich einerseits stolz auf das bereits vollbrachte, schließlich war ich voll im Zeitplan und hatte mehr als die Hälfte der Strecke bereits hinter mir. Allerdings brannte die Sonne und vor mir lagen über 100km ohne Schatten. Vermessen wie ich nun mal bin zog ich parallelen zu den verwegenen Zweiradpiloten, welche grade eben Frankreich bereisen. Ich kam mir vor wie auf der langen Etappe, welche zu guter letzt noch den Mont Ventoux als kleines Bonbon bereit hält. Der war also mein persönlicher Mont Ventoux. Man kam ich mir großartig vor, schließlich habe ich keine Wasserträger, welche mir die 250km Anfahrt im Windschatten angenehm gestalten.

Ich passierte Calbe und Stassfurt und so langsam kamen auch leicht Zweifel in mir auf. Würde ich es wirklich schaffen. Außerdem machte ich mir wirklich Sorgen bezüglich der fortschreitenden Färbung meiner Arme. Der Himmel schickte mir allerdings ein paar klitzekleine Wölkchen und mehrfach fuhr ich ein Rennen gegen den Zug der Wolken. Einerseits war ich froh, das der Wind leicht gedreht hatte und nun von hinten kam. Andererseits bedeutete dies, das der rettende Schatten dieser fiesen Wolke immer genau hundert Meter vor mir zu liegen schien. Kilometerlang schaffte ich es einfach nicht in den verdammten Schatten reinzufahren. Außerdem wollte ich endlich meinen verdammten Mont Ventoux in der ferne sehen. Er müsste doch nun endlich mal auftauchen.

Das Terrain wurde bereits zusehend welliger und ich fing wirklich an zu zweifeln, ob ich es noch rauf nach Braunlage schaffe. Ich gebe zu, dass sogar der Gedanke in mir aufkam von Wernigerode aus meine Frau um Hilfe anzubetteln. Dieser Gedanke währte allerdings immer nur einige Sekunden und dann war er wieder da, der Kämpfer in mir. Ein nautilus hat schließlich noch nie aufgegeben und heute wird nicht das erste Mal sein!

4 Kommentare

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  • Boah…was für eine grandiose Leistung.
    Ich bin so beeindruckt und hab beim lesen ganz nasse Hände und Tränen in den Augen bekommen…ganz großen Respekt.
    Es ist immer wieder ein ganz besonderes Gefühl an seine Grenzen zu gehen.

    Gruß
    S.

  • Nauti Nauti, Mensch bin ich stolz auf Dich. Aber ich durfte mir diesen Bericht ja schon zum Teil leif am Telefon anhören – perfekt!

    Ich bin einfach nur beeindruckt von der Härte, die Du auf diesem Marathon-Ritt gehabt haben mußt. Und eine riesige Portion Neid bleibt auch noch bei mir hängen.

    Gut ab…

  • Ja wenn der Dorfschmied bei John Deere den gleichen sportwagen wie du fährt dann ist es ihm ein leichtes so ne kleine inspektion zwischen Frühstück und Mittag durchzuziehen.

    Nauti du bist echt strange. Ich hätt nicht im traum dran gedacht solch unternehmung durchzuziehen. Verdammt großes mammut was du da erlegt hast. lass es die schmecken

    eL „teilzeitvegetarier“

    p.s. wenn du mal mit dem Männerbike in braunlage bist und der rest vom ESK entweder keine zeit oder wieder RTF´s runterreisst .Dann sag vorher bescheid… dem Dirk auch.
    War ne geile zeit damals im harz

  • nauti, auch ich zoll dir grossen respekt fuer diese leistung. ein riesen ritt, den du da hingelegt hast. ist schon ein wirklich grosses erlebnis, so eine lange distanz an einem tag abgerissen zu haben – da weiss man was man getan hat.

    wow, gruesse, rob

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